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Ingolf Seidel

Ingolf Seidel arbeitet seit 2009 für das Bildungsportal "Aus der Geschichte lernen" und ist verantwortlich für Redaktion und Projektmanagement. Er führt Seminare zur (historischen) politischen Bildung durch und konzipiert Bildungsmodule.

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Das deutsch-israelische Verhältnis

Aufarbeitung der Vergangenheit?
15. März 2021
Jerusalem, Israel. Foto: Robert Bye | Unsplash.

Das deutsch-israelische Verhältnis wird als Prozess der "Versöhnung" oder "Wiedergutmachung" mit Jüdinnen und Juden gesehen. Die Konzentration auf die historische Verantwortung und das bis heute bestehende deutsche Streben nach Normalisierung hat aber zentrale Aspekte von Aufarbeitungsprozessen außer Acht gelassen: eine tiefe gesellschaftliche Auseinandersetzung und die Infragestellung des ideologischen, politischen und wirtschaftlichen Systems, auf dem der Nationalsozialismus entstehen konnte.

Diskussionen um den israelisch-palästinensischen Konflikt finden in Deutschland vor dem Hintergrund einer postnationalsozialistischen Gesellschaft statt. Das führt teils zu bipolaren, vereindeutigenden Positionierungen, die mit „radikalen Identifizierungen“ (Peter Ullrich) für die eine oder die andere Seite einhergehen. Der folgende Text beschränkt sich auf einige Aspekte im Handeln des westdeutschen Nachfolgestaats des „Dritten Reichs“ in dem was als Prozess der „Versöhnung“ oder „Wiedergutmachung“ mit den Juden bezeichnet wird. Dabei wird gezeigt, dass es nicht allein die historische Verantwortung für den sich als jüdisch definierenden Staat war, der die deutschen Interessen leitete, als vielmehr das bis heute bestehende deutsche Streben nach Normalisierung.

Die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson?

Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt am 18.3.2008 vor dem israelischen Parlament, der Knesset, eine Rede über das Verständnis des außenpolitischen Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zu Israel: „Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin nicht verhandelbar.“ Merkels Äußerung ist weniger spektakulär, als die Rezeption es vermuten lässt. Die Bundeskanzlerin knüpft an ein Verständnis an, welches sich bis in die 1950er-Jahre zurückverfolgen lässt. Genauer gesagt bildet das „Luxemburger Abkommen“ vom 10. 9. 1952, unterzeichnet vom damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem israelischen Außenminister Moshe Scharett, mit dem sich die BRD nach zähen Verhandlungen zur Zahlung von gut drei Milliarden D-Mark an Entschädigungsleistungen in Geld oder Waren verpflichtete. Die Unterzeichnung des in beiden Ländern hoch umstrittenen Abkommens stellte den Gründungsakt der beidseitigen Beziehungen dar. Für die israelische Seite war es zugleich ein „Akt der Zuerkennung kollektiver Restitution für ein kollektiv verübtes Verbrechen“ und, nicht weniger wichtig, brachte es die „Anerkennung der Juden als politisches Kollektiv“ (Dan Diner) mit sich. Der Vertrag wäre ohne das persönliche Engagement des israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion und des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer kaum zustande gekommen.

Doch auch der konservative Katholik Adenauer, Zeit seines Lebens kein Nazi, war nicht frei von antisemitischen Ressentiments. In einer Fernsehsendung vom 29.1.1965 äußerte er als Motiv für die deutsch-jüdische Versöhnung: “Die Macht der Juden auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht unterschätzen. Und daher habe ich sehr bewusst (...) meine ganze Kraft daran gesetzt, (...) eine Versöhnung herbeizuführen zwischen dem jüdischen Volk und dem deutschen Volk.“ Das Beispiel zeigt, wie Antisemitismus als „kultureller Code“ (Shulamit Volkov) funktioniert. Adenauer greift hier das Stereotyp einer angeblich in den USA geballten Macht der Juden auf. Dabei ist er kein Einzelfall. Der Titel des 2020 erschienenen Buches „Germany and Israel: Whitewashing and Statebuilding“ von Daniel Marwecki bringt das durch gegenseitige Instrumentalisierungen geprägte Verhältnis auf den Punkt. Israel, durch die arabischen Nachbarstaaten angefeindet bis zur Vernichtungsdrohung, war insbesondere in der Frühphase nach der Staatsgründung, auf wirtschaftliche und militärische Güter zum Aufbau und zur Sicherung des Landes angewiesen. So war bis 1967, dem Jahr des israelisch-arabischen Sechstage-Krieges, die BRD, nicht die USA, zum wichtigsten Unterstützer Israels geworden. Die deutsche Politik wiederum war im Zeichen des Kalten Krieges auf Westintegration angelegt und jenseits der Entnazifizierung nach 1945, die mit der Gründung der BRD bereits zu einer Re-Nazifizierung in Staat und Verwaltung durch die Einstellung ehemaliger Funktionseliten wurde, darum bemüht, einen Bruch mit der mörderischen Vergangenheit zu proklamieren.

„Wiederkehr des Verdrängten“

Von deutscher Seite her ist das deutsch-israelische Verhältnis verschiedentlich durch eine Mischung aus Philo- und Antisemitismus geprägt. Diese Melange liegt u.a. auch begründet in der Spezifik des Holocaust. Die deutsche Täterschaft und das „Verbrechen gegen die Menschheit“, in das die antisemitische Vernichtungspolitik kulminierte, lassen sich durch den universellen Charakter nicht einfach mit anderen Genoziden gleichsetzen. Obwohl die NS-Herrschaft besonders mit dem „Generalplan Ost“ auch koloniale Elemente aufwies, lässt sich keine unmittelbare Kontinuität von den Kolonialverbrechen ableiten. Die Juden sollten nicht nur ausgeplündert und ermordet werden. Vielmehr wurden sie als vermeintliche Gegenrasse, als Gegenprinzip, verfolgt. Deshalb gab es für die Einzelnen auch kein Entkommen. Gleich, ob sie zum Christentum konvertiert waren oder als Soldaten im Ersten Weltkrieg Orden erworben hatten, die Nazis wollten das von ihnen so bezeichnete jüdische Prinzip mit den Menschen ausrotten. In den Lagern wurde den Juden die Menschlichkeit genommen und sie wurden in Verwaltungsakten zu „Schatten, Ziffern, Abstraktionen“ (Moishe Postone). Das macht die präzedenzlose Qualität des Holocaust aus. Antisemitismus als Welterklärung unterscheidet ihn vom Rassismus als Legitimatitonsideologie für die koloniale Ausbeutung. Dabei geht es nicht um eine Hierarchie, sondern um die bestimmte Differenz. Das staatliche deutsche, hier westdeutsche, Bestreben nach einer neuen Normalität nach 1945, das in der Bevölkerung die Verdrängung eigener Schuld und Scham erleichterte, wurde durch den Kalten Krieg begünstigt und unterfüttert. Unter anderem konnten deshalb „die Ursachen fortbestehen“ (Theodor W. Adorno), die zum Genozid an Juden sowie an Sinti und Roma führten. Der heute anwachsende Antisemitismus in der deutschen Mehrheitsbevölkerung lässt sich auf eine oberflächliche Aufarbeitung und damit auf einer „Wiederkehr des Verdrängten“ (Dierk Juelich), selbstverständlich nicht monokausal, zurückführen.

Das deutsche Beispiel zeigt, dass eine Aufarbeitung derartiger Massenverbrechen weitaus tiefer gehen muss als in Deutschland. So wichtig die Würdigung der Opfer ist, sie ersetzt nicht die gesellschaftliche Auseinandersetzung, bis in die einzelnen Familien, und die Infragestellung des ideologischen, politischen und wirtschaftlichen Systems, auf dem der Nationalsozialismus entstehen konnte.

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