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Das High Level Political Forum (HLPF) überprüft jährlich auf UN-Ebene die Umsetzung der Agenda 2030. In diesem Jahr stand unter anderem SDG 16 auf der Tagesordnung. FriEnt-Mitarbeiterin Elsa Benhöfer kommentiert die wichtigsten Ergebnisse des HLPF: Covid-19 habe die Ungleichheit verstärkt und Konflikte angeheizt. Auch wenn es Lösungsansätze gebe, fehle es an politischer Ambition. Außerdem gehöre Frieden (SDG 16) jedes Jahr auf die HLPF-Agenda.
Seit 2016 findet das HLPF jährlich im Rahmen der Arbeitstagung des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen (ECOSOC) statt. Das Forum verfolgt und überprüft die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und ihrer 17 Ziele (SDGs). Dabei stehen jedes Jahr andere SDGs im Fokus. Dieses Jahr wurde neben SDG 1, 2, 3, 8, 10, 12, 13 und 17 zum zweiten Mal SDG 16 beleuchtet. Hierin geht es um „Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen“. Während der ersten Woche (6.-9. Juli) tauschten sich zahlreiche staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure über den globalen Fortschritt und Möglichkeiten der beschleunigten Umsetzung dieser SDGs aus. Neben Diskussionen auf Ministerialebene, stellten in der zweiten Woche (12.-15. Juli) 42 UN-Mitgliedsstaaten ihre nationalen Umsetzungsberichte (Voluntary National Reviews, VNR) vor, darunter auch Deutschland.
Im Mittelpunkt des HLPF 2021 standen die Bearbeitung und Bekämpfung der Pandemiefolgen. UN-Generalsekretär Antonio Guterres betonte, in welch weite Ferne die Erreichung der SDGs seit Ausbruch der Pandemie gerückt sei. Guterres bekräftigte zudem, dass die Staatengemeinschaft nur gemeinsam und mit größter Anstrengung die Agenda 2030 noch umsetzen kann. Laut dem SDG Report 2021 haben 255 Millionen Menschen ihre Vollzeitstellen verloren, viermal mehr als während der Finanzkrise 2007-2009. Zwischen 83 und 132 Millionen Menschen mussten im Jahr 2020 Hunger leiden. Der Kampf gegen Ungleichheit und die Erreichung friedlicher, inklusiver und gerechter Gesellschaften hängen eng zusammen und seien ohne einander nicht erreichbar.
Folgende Erkenntnisse und Schlussfolgerungen wurden in zahlreichen HLPF Veranstaltungen und Studien, wie der FriEnt-Studie „Coming to peace with COVID-19“ herausgearbeitet: Die Pandemie hat unter anderem. negative Effekte auf Konfliktdynamiken und auf laufende Friedensprozesse. Soo viele Menschen wie in Mitte 2020 sind laut dem SDG Report 2021 noch nie vor Krieg, Gewalt, Konflikt geflohen., Darüber hinaus führt die politische Instrumentalisierung der Covid-19 Maßnahmen zu einer Zunahme des „shrinking civic space“. Dies berichtete auch Mandira Sharma, vom Advocacy Forum Nepal auf dem offiziellen HLPF Side-Event das von FriEnt co-organisiert wurde. Sharma sprach sich für eine verstärkte Förderung von Datenerhebung und von unabhängiger Justiz aus.
Doch bei der adäquaten Messung von SDGs, deren Ergebnisse zu einer strategischeren Erreichung der Nachhaltigkeitsziele beitragen könnten, hinke die internationale Gemeinschaft hinterher, so Kathrin Strobel von der Robert Bosch Stiftung. So wird etwa das Ziel 10.2 „soziale, wirtschaftliche und politische Teilhabe aller“ anhand der Personen berechnet, die 50 Prozent unter dem Medianeinkommen verdienen.. Die Daten werden nicht nach Alter, Geschlecht oder nach sozialen und politischen Indikatoren aufgeschlüsselt. Partizipative Methoden der Datenerhebung vor Ort müssten entwickelt und gestärkt werden, transparent und zugänglich sein. Auch wenn es Fortschritte in der Verfügbarkeit von international zu vergleichenden SDG-Daten gebe und immer mehr Indikatoren in die globalen SDG Datenbanken aufgenommen würden, konnten in vielen Ländern aufgrund der Pandemie kaum Daten erhoben werden.
Viele der Side-Events von der Civil Society Platform for Peace and Statebuilding (CSPPS), dem Transparency, Accountability & Participation (TAP) Network, der Global Alliance und den Pathfinders teilten praktische Beispiele und Lernerfahrungen, wie zivilgesellschaftliche Akteure auf der ganzen Welt auch während der Pandemie das Friedensziel implementieren . Viele dieser zivilgesellschaftlichen Akteure wiesen darauf hin, dass die digitale Kluft innerhalb und zwischen Gesellschaften zu Ausgrenzung führe. Des Weiteren wurde der Anstieg von Kinderarbeit und Kinderehen seit Ausbruch der Pandemie thematisiert. Insbesondere Frauen und Mädchen waren und sind ungleich stark von der Pandemie betroffen. Darüber hinaus sei nachgewiesen, dass in von Ungleichheit geprägten Gesellschaften eine höhere Infektionsrate vorlag als in gerechteren Ländern, so Sarah Cliff, Direktorin der New York University’s Center on International Cooperation. Viele Teilnehmende des HLPF bemängelten, dass sich diese Ungleichheit auch in der Verteilung der Impfungen widerspiegele.
Die Veranstaltung zur Rome Civil Society Declaration on SDG16+ — A Renewed Call for Strengthening Commitments, Partnerships, and Accelerated Action for SDG16+ rief alle Akteure dazu auf, inklusiv und gerecht transformativen Wandel zu implementieren. Hierfür brauche es flexible Finanzierungsmechanismen für lokale Zivilgesellschaft sowie einen ständigen Dialog und echte Kooperation zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteurenwelt- und sektorweit Diese sollten alle Regierungsebenen, insbesondere auch die lokale Ebene mit einbeziehen.
Die Reduktion von Treibhausgasemissionen (laut SDG Report lagen 2020 die Emission so hoch wie noch nie), die Bekämpfung des Klimawandels und die Förderung erneuerbarer Energien wurden ebenfalls auf diesen HLPF Side-Events diskutiert, An politischem Momentum, das gesammeltes Wissen in Handeln umzusetzen, mangelte es jedoch.
Denn anders als Ungleichheit und Frieden (SDG10 und SDG16) hat es das HLPF verpasst, offizielle thematische Diskussionen zu den Wechselwirkungen von Klima (SDG 13) und Frieden (SDG16) zu führen. Auch wenn die jährliche Überprüfung von SDG16 abgelehnt wurde (siehe unten), braucht es auf den kommenden HLPF Diskussionen zu den Wechselwirkungen von SDG 16 und SDG 13, inklusive SDG 14 und SDG 15. FriEnt wie auch SIPRI oder die Global Alliance haben bereits Praxisbeispiele und Empfehlungen dazu erarbeitet. Dieser Fokus ist angesichts sich häufender Umweltkatastrophen, Hungersnöte und Gewaltkonflikte wichtiger denn je.
Viele Organisationen, wie CSPPS oder das TAP Network haben zivilgesellschaftliche Akteure in fragilen und Konfliktkontexten im Vorfeld darin unterstützt, ihre Regierungen an ihre Verantwortung auch zur Überprüfung von SDG16 zu erinnern. Doch die Pandemie hat der ohnehin schon von „Shrinking Civic Spaces“ betroffenen Zivilgesellschaft, den inklusiven Dialog zwischen Regierung und Zivilgesellschaft erschwert. Regionale Workshops und Expert*innentreffen fanden, so gut wie möglich, online statt. Dennoch zeigte sich, wie wenig inklusiv und einseitig die VNRs vorbereitet waren, und eine ehrliche und ganzheitliche Überprüfung des Agenda 2030 Fortschritts unmöglich machten.
Auch Deutschland wurde von deutschen zivilgesellschaftlichen Vertreter*innen kritisiert. Sie bemängelten das Ambitionsniveau des deutschen VNR und forderten eine echte politische Partizipation der Zivilgesellschaft an der Umsetzung der SDGs. Luise Steinwachs (VENRO) bemängelte, dass die Auswirkungen des deutschen internationalen Handels kaum in Zielindikatoren Berücksichtigung fänden. Für eine Umsetzung des deutschen VNR müssten deutsche Ministerien viel stärker und effektiver zusammenarbeiten, so Dr. Werner Schnappauf, Vorsitzender des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE).
Seit dem ersten HLPF 2016 gibt es am Format des HLPF Kritik. Schlüsselforderungen sind die verstärkte Teilnahme und Teilhabe der Zivilgesellschaft an Prozessen rund um das HLPF, eine konstruktive, kritische Reflexion der VNR sowie konkrete politische Vereinbarungen und Lösungen für die SDG Umsetzung. Denn durch die Freiwilligkeit der Staatenberichte folgen aus den vorgetragenen Ergebnissen keine globalen oder nationalen Konsequenzen. Das schmälert die Relevanz der Berichte. Von der diesjährigen Ministererklärung gingen auch in diesem Jahr keine effektiven politischen Ziele aus. Vielen Akteuren fehlt es in der Erklärung an mutigen und transformativen Handlungsempfehlungen, sowie an Ambitionen, die Ursachen und systemischen Schranken für eine bessere Welt, in der niemand zurückgelassen wird, gemeinsam anzugehen. Zu den Ursachen für die systemischen Schranken zählen sie unter anderem fossile Brennstoffe, eine nicht mehr tragfähige Schuldenbelastung, illegale Finanzströme und das Patriachat als politisches Instrument.
Um das HLPF-Format zu verbessern, war 2020 eine HLPF-Überprüfung (Review) vorgesehen, die aufgrund der Pandemie auf 2021 verschoben und am 25. Juni 2021 beschlossen wurde. In Vorbereitung auf den HLPF-Review hat es viele thematische und strukturelle Vorschläge aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft gegeben. Dr. Marianne Beisheim, SWP, schlug unter anderem vor, den Fortschrittsbericht der SDGs des Generalsekretärs (GSDR) und andere relevante Berichte, rechtzeitiger und effektiver in die Planung des HLPFs einfließen zu lassen. Dies könne , laut Beisheim, auch die Substanz der Ministererklärung erhöhen. Das jetzige Format, in dem die Überprüfung der SDGs und thematische Diskussionen nur eine Woche vor dem Ministertreffen stattfinden, ließe das Einfließen von dort ausgesprochenen Kernaussagen und Empfehlungen in die Ministererklärung kaum zu. Zudem böte eine Entzerrung der Ereignisse Möglichkeiten eines Follow-ups für als relevant identifizierte Themen und SDGs.
Im Ergebnis sprechen sich die UN-Mitgliedstaaten im Text des finalen Review Dokuments für eine Stärkung der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis und für eine Verbesserung der Datenerhebung aus. Darüber hinaus sollen die HLPF Veranstaltungen, die unter der Federführung von ECOSOC einberufen werden, die Wechselwirkungen der SDGs und ihrer Ziele und die daraus folgenden politischen Synergieeffekte und Zielkonflikte analytischer darstellen und diskutieren. Der GSDGs soll bereits im April jedes Jahres veröffentlicht werden, um die Verhandlungen der Ministererklärungen vorzubereiten.
Die HLPF Reformen werden in den zwei kommenden HLPF Veranstaltungen Anwendung finden. HLPF 2022 behandelt das Thema “Building back better from the coronavirus disease while advancing the full implementation of the 2030 Agenda” und überprüft SDG 4, 5, 14, 15, und 17. Das Motto des HLPF 2023 heißt “Accelerating the recovery from the coronavirus disease and the full implementation of the 2030 Agenda at all levels”. Im 2023 HLPF werden dann SDG 6, 7, 9, 11 und 17 überprüft. Der SDG Summit 2023 wird zum zweiten Mal in der Geschichte des Agenda 2030 durchgeführt.
Zahlreiche staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen hatten sich im Rahmen des Review Prozesses dafür ausgesprochen, SDG16 als ein Schlüssel SDG in jedem Jahr zu überprüfen. So rief die SDG16+ Community, eine Koalition aus 40 Ländern und über 100 Partnern, die internationale Gemeinschaft und Führungskräfte in jedem Sektor dazu auf, SDG16+ zur Grundlage der Wideraufbauphase zu machen und aktiv resiliente Gesellschaften und Institutionen aufzubauen. Obwohl sich eine wachsende, diverse Gemeinschaft wie die um Unterzeichner*innen der Rome Civil Society Declaration on SDG16+ sowie die Erklärung „Statement from Business Leaders for Renewed Global Cooperation“ für einen stärken Fokus auf SDG16+ einsetzen, konnten sich UN-Mitgliedstaaten, unter anderem aufgrund von Gegenstimmen von Russland und China nicht auf die jährliche Überprüfung von SDG16 einigen. Das ist bedauerlich, da die nächsten HLPF Themen in 2022 und 2023 auf die Stärkung der Resilienz nach der Covid-19 Krise abzielen werden. Hier hätte SDG16 im Mittelpunkt der Diskussion stehen können, denn ohne Gewaltprävention, rechenschaftspflichtige Institutionen und Vertrauensbildende Dialogmaßnahmen, kann die Agenda 2030 nicht erfolgreich umgesetzt werden. Umso wichtiger ist es nun, auch ohne die offizielle Überprüfung von SDG16 die Friedensfahne auf den nächsten HLPF und dem SDG-Summit hochzuhalten.