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Unterschiedliche Perspektiven, politische Zielkonflikte und die Gleichzeitigkeit von Kooperation und Konflikt mit Akteuren aus dem Globalen Süden standen im Mittelpunkt einer FriEnt-Diskussion zu den Folgen der Zeitenwende für die Zusammenarbeit mit Partnerländern. Die zentrale Botschaft: Ambivalenzen zulassen, Dilemmata kommunizieren und einen „unverkrampften“ Umgang mit den eigenen politischen Interessen und Prioritäten finden.
Mit einem Bild aus dem Sport veranschaulicht Dr. Miriam Prys-Hansen (German Institute for Global and Area Studies – GIGA) eine zentrale Herausforderung in der Wahrnehmung von Akteuren aus dem Globalen Süden. Nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sei im Westen die Erwartung entstanden, dass sich Staaten und Regierungen nun klar für eine „Seite“ entscheiden und entsprechend positionieren müssten. Die Realität sei aber deutlich komplexer. Die Vorstellung von zwei politischen Lagern zeichne ein schiefes Bild und verstelle den Blick auf die Interessen von Akteuren im Globalen Süden. Mit Bezug auf die deutsche Politik nach der Zeitenwende und für die Entwicklung einer nationalen Sicherheitsstrategie gilt es, Interessen, Ambivalenzen und Zielkonflikte transparent zu machen – auch als wichtige Voraussetzung für Vertrauen und Glaubwürdigkeit im aktuellen politischen Richtungsdiskurs.
Im dritten Teil der FriEnt-Reihe zu den Folgen der Zeitenwende am 7. Juli 2022 wurden dazu drei zentrale Botschaften formuliert: Erstens ein offener Umgang mit (eigenen) Interessen und Prioritäten sowie mit politischen Abwägungsprozessen und Dilemmata, die damit verbunden sind; zweitens ein differenziertes Politikhandeln, das unterschiedliche Akteurskonstellationen und -perspektiven reflektiert und dabei auch die Zivilgesellschaft aktiv in den Blick nimmt; und drittens auch Korrekturen und Anpassungen zulässt. Schwerpunkte waren dabei der Umgang mit den Folgen der Klimakrise im Spannungsfeld unterschiedlicher Politikziele und die Bedeutung von menschlicher Sicherheit als zentrales Leitbild für alle Handlungsfelder.
In der Diskussion wurden verschiedene Perspektiven und Handlungsebenen beleuchtet: die Zusammenarbeit in und mit Partnerländern, die nationalen Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse – zwischen den Ressorts, im Bundestag und mit der Zivilgesellschaft – und der Dialog mit dem Globalen Süden. Ein zentrales Ergebnis aus den bisherigen FriEnt-Veranstaltungen rund um die Zeitenwende und die nationale Sicherheitsstrategie war der Hinweis auf die Bedeutung von Narrativen, verbunden mit einem kohärenten Politikhandeln und einem offenen Dialog über politische Interessen und Prioritäten. Dieser Anspruch geht über eine transparente Kommunikation hinaus und zielt darauf ab, deutlich zu vermitteln, welche Werte geschützt und verteidigt werden sollen und welches Verständnis von Sicherheit damit verbunden ist.
Alexander Mauz (Forum Ziviler Friedensdienst – Forum ZFD) formuliert dazu konkrete Erwartungen an die nationale Sicherheitsstrategie und unterstreicht insbesondere die deutsche Vorbildfunktion als größter Geber für zivile Krisenprävention. Weniger Förderung für diesen Bereich wäre demnach ein fatales Signal für andere Akteure – mit negativen Auswirkungen für die globale Friedenspolitik. Ohne eine starke Zivilgesellschaft sei menschliche Sicherheit nicht möglich; das müsse sich in der Strategie entsprechend widerspiegeln. Für den internationalen Dialog stelle sich dazu die Frage, wie Süd-Perspektiven im politischen Diskurs repräsentiert würden: „Wer sitzt bei den Gipfeltreffen und wie repräsentativ sind diese Akteure?“ Notwendig sei eine mehrdimensionale Politik, die auch gesellschaftliche Akteure jenseits von Regierungsverhandlungen in den Blick nehme.
Für eine differenzierte Perspektive im Dialog mit dem Globalen Süden plädiert auch Dr. Miriam Prys-Hansen. Deutschland und andere westliche Akteure müssten ihre Werte attraktiv vermitteln und gemeinsame Interessen unterstreichen, aber auch andere Positionen akzeptieren: „Mit Ambivalenzen und Gegensätzen muss man umgehen, und das wird aus dem Globalen Süden auch erwartet.“ Eine Gleichzeitigkeit von Kooperation und Konflikt sei möglich und kein Hindernis für verlässliche Partnerschaften in Bereichen, in denen Einigkeit besteht. Sie nennt als Beispiel den jüngsten G7 Gipfel und die gemeinsamen Erklärungen mit Süd-Partnern zur Klimapolitik und Ernährungssicherheit. Sie plädiert für ein pragmatisches Politikhandeln, das Akteure aus dem Globalen Süden als Kooperationspartner mit eigener Agency wahrnimmt und in ihren Anliegen und Interessen entsprechend adressiert
Sophia Armanski (Auswärtiges Amt; Referat Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung) unterstützt das Plädoyer für eine differenzierte Politik im Dialog mit dem Globalen Süden, um verschiedene Ansätze und Instrumente möglichst passgenau zu verknüpfen. Sie sieht darin auch Herausforderungen für die deutsche Politik, um die Wirksamkeit der Ressortzusammenarbeit zu verbessern, zivile und militärische Maßnahmen zusammen zu denken und Prioritäten zu setzen. Mit Blick auf die nationale Sicherheitsstrategie gelte es außerdem, verschiedene Zieldimensionen und Planungshorizonte – zeitlich, geographisch und inhaltlich – kohärent miteinander zu verbinden. Sie sieht eine zentrale Anforderung an die deutsche Politik darin, ein „unverkrampftes Verhältnis zu den eigenen Interessen“ zu entwickeln und Prioritäten für das Regierungshandeln zu setzen, ohne das oberste friedenspolitische Ziel dabei aus den Augen zu verlieren. Abwägungsprozesse und Ambivalenzen transparent zu vermitteln, sei letztlich glaubwürdiger als eine eindimensionale, vermeintlich klare Strategie und damit auch Teil einer offenen Debattenkultur auf nationaler und internationaler Ebene.
Am Beispiel der Klimakrise wurde deutlich, wo die Herausforderungen für die Verknüpfung verschiedener Politikziele liegen. Mit dem aktuellen Diskurs um die Bedeutung fossiler Energieträger unter wirtschafts- und sicherheitspolitischen Vorzeichen verschieben sich Schwerpunkte und Prioritäten in der Klimapolitik – mit konkreten Folgen für die zivile Konfliktbearbeitung. Alexander Mauz beobachtet dabei ein verändertes Narrativ, das die Klimakrise nicht als gemeinsame Aufgabe, sondern als Bedrohung für Sicherheitsinteressen darstellt. Damit verschiebe sich der Fokus von einer Kooperations- und Aushandlungslogik mit dem Ziel, gemeinsame Lösungen zu entwickeln, zu Sicherheitsinteressen.
Sophia Armanski verweist dazu auf die Wechselwirkungen von Klimawandel und Gewaltkonflikten und die Bedeutung von Governance-Ansätzen. Die Klimakrise dürfe kein Vorwand sein, um politische Lösungsansätze in Abrede zu stellen, weil Konflikte durch den Klimawandel zwar befeuert, aber nicht allein verursacht werden. Sie unterstreicht dazu die Bedeutung lokaler Ansätze und Vereinbarungen, besonders für die Bewältigung von Ressourcen- und Landkonflikten.
Mit Blick auf die globale Dimension der Klimakrise sieht Dr. Miriam Prys-Hansen die internationale Zusammenarbeit in der Pflicht, lokale Akteure aktiv mit Energiewende-Partnerschaften zu unterstützen und so besonders die wirtschaftliche Abhängigkeit von Kohle zu reduzieren. Die gemeinsame Initiative mit Südafrika sei dafür ein positives Beispiel: „Hier hat man ein konkretes Problem im Land identifiziert und international eine Lösung entworfen.“ Weitere Partnerschaften mit Indonesien, Indien und Vietnam sollen nun folgen. Sie betont aber auch die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft und die Risiken für Vertrauen und Glaubwürdigkeit, wenn bestehende Verpflichtungen und Finanzierungszusagen nicht umgesetzt werden.
Perfekte politische Lösungen und einfache Strategien kann es in einer neuen „Welt der Unordnung“ mit komplexen Krisenkontexten nicht geben – so eine zentrale Erkenntnis aus der Diskussion. Für die politische Praxis kann das bedeuten, dass sich nicht jedes Bild passgenau geraderücken lässt, und sich Ambivalenzen aus der Gleichzeitigkeit von Kooperation und Konflikt letztlich nicht auflösen lassen. Umso wichtiger werde eine offene Debattenkultur, die auch Zielkonflikte und Dilemmata klar benennt und politische Prioritäten setzt. In diesem Sinne formuliert auch Sophia Armanski ihr Plädoyer auf dem Podium: „Im Regierungshandeln wird um Wege gerungen und einer gefunden, der für eine gewisse Zeit trägt. Dann wird nachjustiert. Da müssen wir stärker hinkommen mit Blick auf unsere Sicherheitsinteressen, aber auch im Wirken für Frieden in der Welt.“