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Die erste nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland steht unter dem Leitbild der integrierten Sicherheit. Was bedeutet diese Ausrichtung für den künftigen Kurs der Bundesregierung und wie lassen sich Politik und Praxis kohärent verknüpfen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine gemeinsame Veranstaltungsreihe von FriEnt, der Berghof Foundation und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS). Zum Auftakt stand eine Positionsbestimmung für den gemeinsamen Dialog auf der Agenda.
Die nationale Sicherheitsstrategie beschreibt integrierte Sicherheit als Bestandteil und gemeinsames Ziel aller Politikbereiche. Die „gezielte und tiefe Verschränkung unterschiedlicher Politikfelder“ soll Antworten auf komplexen Krisen und Herausforderungen geben und vorbeugendes, eingreifendes und nachsorgendes Handeln zusammenführen. Eine gemeinsame Veranstaltungsreihe von FriEnt, der Berghof Foundation und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) setzt dafür erste Impulse. Erstmals finden sich dafür drei Organisationen zusammen, die sich mit unterschiedlichen Fragestellungen und Perspektiven der Friedens- und Sicherheitspolitik beschäftigen und so auch Akteur*innen und Politikfelder miteinander in Austausch bringen, die sonst wenig Berührungspunkte haben. Die drei Workshops der Reihe beschäftigen sich aus verschiedenen Blickwinkeln damit, was integrierte Sicherheit für das Zusammenwirken von Politikfeldern und Handlungsebenen bedeuten kann, und was sich für die Umsetzung in Politik und Praxis damit konkret verändert.
Der Auftakt-Workshop in der Berghof Foundation stand unter der Überschrift „Im Sucher: Was bedeutet integrierte Sicherheit für Strategie und Praxis? Eine Positionsbestimmung“. Grundlage für die Diskussion waren dabei Beispiele zur Verknüpfung von Klima-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik und zu feministischen Ansätzen. In interdisziplinären Arbeitsgruppen diskutierten 30 Expert*innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Ressortabstimmung und aus der Zusammenarbeit in und mit Partnerländern. Den gemeinsamen Rahmen bildeten drei Leitfragen zum Verständnis von integrierter Sicherheit in Interventionskontexten sowie für unterschiedliche Politikziele und Handlungsfelder. Für sektorübergreifende Ansätze, die über Koordination und Zusammenarbeit hinausgehen, müssen bisherige Abstimmungsverfahren überprüft und für neue Anforderungen und Akteure erweitert werden. Mit Blick auf die Prinzipien einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik bedeutet das auch Veränderungen für Machtstrukturen, Teilhabe und Mitsprache. Die Teilnehmer*innen des Workshops identifizierten dazu offene Fragen, Herausforderungen und Handlungsbedarfe für eine Politik der integrierten Sicherheit nach der Zeitenwende.
Als Ausgangspunkt für die Diskussion skizzierten drei Impulsbeiträge mögliche Ansatzpunkte und Potenziale für integrierte Sicherheit – für das Gesamtengagement, in der Klimapolitik und für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik. Demnach ist integrierte Sicherheit als Leitbild für die Außen- und Sicherheitspolitik in den Ministerien und Fraktionen breit akzeptiert, wird aber unterschiedlich verstanden. Auch die Bedeutung von Sicherheit kann sich je nach Kontext deutlich unterscheiden: von militärischer und staatlicher Sicherheit bis zu menschlicher Sicherheit, beziehungsweise in lokaler, nationaler oder globaler Perspektive. Auf allen Ebenen liegt eine zentrale Herausforderung für integrierte Sicherheit darin, verschiedene Politikfelder miteinander in Einklang zu bringen und mögliche Zielkonflikte in den Blick zu nehmen. Für die deutsche Politik betrifft das auch die Frage, wie sich die Leitlinien und Strategien für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik mit der nationalen Sicherheitsstrategie vereinbaren lassen. Feministische Ansätze zielen auf die Überwindung von Ungleichheit und asymmetrischen Machtstrukturen – auch zwischen den Ländern im Globalen Süden und im Globalen Norden. Nicht nur mit Blick auf die Vereinte Nationen-Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ müssten daraus auch deutliche Veränderungen in der internationalen Friedens- und Sicherheitsarchitektur folgen.
Der Impuls-Beitrag zur feministischen Außen- und Entwicklungspolitik unterstrich dazu, dass integrierte Sicherheit immer auch bedeuten müsse, Akteur*innen, die direkt betroffen sind, für eine inklusive Teilhabe mit einzubinden. Frauen und marginalisierte Gruppen werden in Kriegs- und Krisenkontexten demnach oft in einer Opferrolle gesehen und nicht als aktive Beteiligte für die Gestaltung einer Friedens- und Sicherheitsordnung. Für eine feministische Politik der integrierten Sicherheit lassen sich daraus vier zentrale Anforderungen ableiten: (i) unterschiedliche Geschlechterrollen als Handelnde und Opfer müssen aktiv mit adressiert werden, (ii) Frauen als Gesamtgruppe zu betrachten, greift zu kurz. Stattdessen müssen unterschiedliche Betroffenheit, Potenziale und Bedarfe differenziert berücksichtigt werden. (iii) Für die Umsetzung ergibt sich daraus ein Plädoyer für mehr Subsidiarität, um „social engineering“ zu vermeiden. (iv) Dafür empfiehlt sich ein Mehr-Ebenen-Ansatz: lokal verankert und mit regionaler, nationaler und multilateraler Einbindung.
Die Verknüpfung von Strategie und Praxis ist eine weitere Herausforderung: Wie kann und soll das Leitbild integrierte Sicherheit für unterschiedliche Themenfelder und Regionalkontexte ausgestaltet werden? Ein weiterer Impuls-Vortrag gab dazu Hinweise zur Verknüpfung von Klima-, Friedens- und Sicherheitspolitik, u.a. am Beispiel der Krisen- und Konfliktkontexte in der MENA-Region. Die Klimapolitik werde in Interventionskontexten demnach zwar mitgedacht, in der Umsetzung aber noch nicht konsequent berücksichtigt. So gehöre der Irak zu den fünf am stärksten betroffenen Ländern durch den Klimawandel; mit erheblichen Folgen für die Landwirtschaft, Binnenmigration und Wasserknappheit. Für solche Krisenkontexte biete die Kooperation für Klimamaßnahmen Schnittstellen für den Auf- und Ausbau von Zusammenarbeit, die in anderen Sicherheitskontexten so nicht möglich sind. So ließen sich Dialogprozesse mit allen betroffenen Parteien aufsetzen, um komplexe Konfliktdynamiken im Gesamtkontext zu bearbeiten. Entscheidend dafür sei aber die Einbindung lokaler Sicherheitsakteure für die Schutz- und Sicherheitsbedarfe auf der Gemeindeebene. Integrierte internationale Ansätze könnten dabei nur begrenzt weiterhelfen, weil Sicherheitsleistungen auf kommunaler Ebene für externe Akteure nicht leistbar seien – zumal eine legitime und nachhaltige Sicherheitsordnung lokal verankert sein müsse. Für die deutsche Politik sei damit die Anforderung verbunden, gemeinsam mit irakischen Akteur*innen eine belastbare Strategie- und Sicherheitsplanung zu entwickeln.
Dass die Anforderungen für eine Politik der integrierten Sicherheit, die verschiedene Handlungsebenen, Politikfelder und Akteursgruppen verknüpft, sehr ambitioniert sind, wurde in den Arbeitsgruppen deutlich. Die Diskussion reichte von Überlegungen für die gemeinsame Analyse, Planung und Umsetzung für multiple Krisen als Grundlage für „early action“ und konfliktsensible Ansätze mit lernender Evaluation über Vorschläge für neue globale Partnerschaften, die Zielkonflikte ehrlich benennen und Strategie- und Handlungsentscheidungen in gleichberechtigter Zusammenarbeit mit den Akteur*innen der Partnerländer abwägen, bis zu strukturellen Überlegungen für die Ausgestaltung und Umsetzung der nationalen Sicherheitsstrategie ohne rigorose Arbeitsteilung mit integrierten Ansätzen über Ressortgrenzen hinweg. Reichlich Material also für die Fortsetzung der Kooperationsreihe mit einem zweiten Workshop am 31. August – dann mit FriEnt als Gastgeberin in der Friedrich-Ebert-Stiftung. Im Mittelpunkt stehen dann die globale Zusammenarbeit und Perspektiven aus dem Globalen Süden für eine möglichst integrierte Diskussion über integrierte Sicherheit und die deutsche Politik.