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Rousbeh Legatis

rousbeh@gmail.com

Rousbeh Legatis ist Friedens- und Konfliktforscher. Er lebt in Bogota und Berlin. Als internationaler Berater, Evaluator und Dozent arbeitet er an der Schnittstelle von Theorie und Praxis in den verschränkten Handlungsfeldern Konflikttransformation, Vergangenheitsarbeit und zur Rolle von Medien in diesen Prozessen. Sein Beitrag knüpft an die Debatte zur „Rolle von Medien in der Friedensförderung“ an, die in diesem Jahr bei FriEnt begonnen wurde.

Journalist*innen als Friedensbringer*innen

Die Rolle von Medien in der Friedenskonsolidierung kritisch weiterdenken
26. Januar 2022
Journalist in war zone | South_agency | iStock

Nach Massengewalt und systematischen Menschenrechtsverletzungen müssen die
betroffenen Menschen Kraft für neue Perspektiven entwickeln. Die Imagination
zukunftsorientierter Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu vergegenwärtigen,
zu artikulieren und im öffentlichen Diskurs über gesellschaftliche Umgestaltung anzubieten,
ist entscheidend für gelingendes Peacebuilding. Medien können zu diesen Entwürfen
beitragen.

„Schließen Sie für einen Moment Ihre Augen und stellen Sie sich die Welt vor, wie sie sein
sollte: eine Welt des Friedens, des Vertrauens und der Empathie, um das Beste in uns
hervorzubringen.“ So beendet Maria Ressa ihre Rede, als sie den Friedensnobelpreis 2021 in Empfang nimmt. Mit Dmitry Muratov und ihr waren es zwei Journalist*innen, die in diesem
Jahr die international viel beachtete Auszeichnung erhielten.

Die Preisverleihung an Medienschaffende erkennt ihre lebenslange journalistische Arbeit
und ihren daraus abzuleitenden Beitrag zum Frieden an und ist natürlich auch repräsentativ
für die vielen tausend Kolleg*innen, die weltweit tagtäglich in und aus Konflikten Bericht
erstatten. Gleichzeitig stellt sich wieder einmal die alte Frage: sind Journalist*innen
Friedensbringer*innen?

Egal ob die Antwort „Ja“ oder „Nein“ lautet, die damit verbundenen Erwartungen und ihre
Begründungen bewegen sich oft zwischen Euphorie und Defätismus. Weder das eine noch
das andere ist in Bezug auf die Rolle von Medien in Konflikten gerechtfertigt:
Journalist*innen können einen entscheidenden Beitrag zu einer konstruktiven
Konflikttransformation leisten, dabei werden sie allerdings durch politische, sozio-
ökonomische und kulturelle Konfliktkontexte eingerahmt.

Sie konstruieren – häufig unter persönlichem Druck - journalistisch geschaffene Realitäten.
Auch in den Diskurslandschaften gesellschaftlich fragmentierter Konfliktländer. Tagtäglich
liefern sie Interpretationsangebote und Lesarten aktueller Ereignisse. Damit beeinflussen sie
die Wahrnehmung von Millionen Leserinnen, Zuschauern, Zuhörern und Internetnutzern.
Die Arbeit von Medienschaffenden entscheidet insofern mit darüber, ob und inwiefern
Konfliktakteure die Vielzahl verschiedener konstruktiver Lösungsmöglichkeiten der
Interessensgegensätze wahrnehmen.

Proaktive Zusammenarbeit und Aufgeschlossenheit sind gefragt!

Peacebuilder*innen müssen deshalb Journalist*innen als politische Akteure anerkennen. Sie
dürfen sie weder ausschließlich als Risikofaktoren sehen noch als PR-Agenturen, geleitet von
der Frage: Wie können wir Medien nutzen, um unsere eigenen Projekte zu realisieren? Eine
solche Funktionalisierung würden sich Medienschaffende verbitten. Bereits in der
Designentwicklung des Peacebuildings und in Implementationsprozessen muss proaktiv,
nicht reaktiv mit ihnen zusammengearbeitet werden. Denn sie können Bedürfnisse, Reflektionen und Handlungslogiken lokaler Bevölkerungen aufspüren und sichtbar machen.
Dazu müssen sich die Journalist*innen auf Augenhöhe in einen kontinuierlichen Dialog mit
allen unterschiedlichen Konfliktakteur*innen begeben, um Ereignisse, Informationen und
Handlungslogiken aufzudecken und zu analysieren.

Weder Peacebuilder*innen noch Medien schaffen alleine Frieden. Daher ist es wichtig, ihre
jeweiligen Arbeitsfelder in ihrer Wirkungsweise auf Prozesse der Konflikttransformation
nicht isoliert zu betrachten. Viel relevanter: Die Herstellung sinnvoller und zielorientierter
Verknüpfungen mit anderen Bemühungen im Feld, um Erreichtes zu stärken und zu
multiplizieren.

Allerdings arbeiten Journalist*innen häufig unter lebensbedrohlichen Bedingungen und
vielerorts im Prekariat. Es reicht aber nicht, allein ihre ökonomischen Bedingungen zu
ändern. Mindestens genauso wichtig ist es, dass sie selbst bestrebt sind, ihr Wissen ständig
zu erweitern und ihre Aufmerksamkeit, ihre Sensibilität zu schulen. Die selbstverliebte
Auffassung, gerade sie wüssten, was ihre Audiences interessiert und welche Informationen
sie für ihre Entscheidungsprozesse brauchen, ist fehl am Platze. Es geht vielmehr darum,
Dialoge zu schaffen, in denen allen Aufmerksamkeit gewidmet wird, konstruktive Kritik
herauszuhören, unterdrückte Diskurse ans Licht zu bringen.

Dazu ist es notwendig, vielfältige Quellen einzubeziehen. Das verlangt von Journalist*innen
und Medien aber auch die Sorge um jene, die mit ihnen zusammenarbeiten. Dies bezieht
sich auf direkt von Gewalt Betroffene, aber ebenso auf Expert*innen zum Beispiel
aus der Wissenschaft, die zu sehr sensiblen Themen in hoch polarisierten Kontexten
arbeiten. Journalist*innen müssen sich dieser Umstände bewusst sein, sie im Vorfeld von
Interview-Anfragen und Gesprächen berücksichtigen und ihre Protagonist*innen sensibel
begleiten. Eine übereilte und unsaubere Handhabe von Interviewergebnissen kann im
Nachhinein gravierende Folgen für die interviewten Forscher*innen in ihrer praktischen
Arbeit bis hin zur Lebensgefahr bedeuten. Zu beachten sind ebenfalls Retraumatisierungen,
die bei Gewalt-Opfern ausgelöst werden können.

Zukunftsorientierter Journalismus braucht Mut zur Veränderung

Konzepte wie ‘peace journalism’, ‘conflict-sensitive journalism’, ‘problem-solving
journalism’, ‘solution journalism’ verweisen auf Bestrebungen, das eigene
journalistische Handeln anders zu denken und umzusetzen. Bei aller Würdigung dieses
veränderten Berufsverständnisses sollte kritisch festgehalten werden, dass die darin
enthaltenen Forderungen bereits seit Jahrzehnten bestehen. Oder anders gesagt: Lange Zeit
war der politische Veränderungswille für das Neudenken der eigenen Arbeit in der
journalistischen Zunft nicht besonders ausgeprägt. Und neue Label oder ein ‘fancy jargon’
sind nicht unbedingt aussagekräftig, wenn journalistische Stile und Arbeitsweisen auf ihre
Sinnhaftigkeit als Beitrag zur Friedensarbeit bewertet werden sollen.

Grund für die schleppende Veränderungsfähigkeit mag ein verengter Ansatz sein, der in der
Vergangenheit Entscheidungsträger*innen in Redaktionen, Verlagshäusern und
Medienunternehmen zu selten ausreichend integrierte.

Die Rolle von Medien in der Friedenskonsolidierung kritisch weiterzudenken und in der
Konflikttransformation zu stärken, erfordert Qualitätsnachweise, den Mut zu einer
konstruktiven Fehlerkultur und die enge Verzahnung von Praxis und Wissenschaft.

Und Action bitte!

Die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) ist ein Zusammenschluss von staatlichen Organisationen, kirchlichen Hilfswerken, zivilgesellschaftlichen Netzwerken und politischen Stiftungen.

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und Entwicklung (FriEnt) c/ o GIZ

Friedrich-Ebert-Allee 36

53113 Bonn

Tel +49 228 4460-1916

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