Wann ist ein Krieg zu Ende?

Friedensexperte Alexander Mauz im Interview
26. September 2023
Foto: Stijn Swinnen | Unsplash.

Alexander Mauz, Sprecher des Konsortiums Ziviler Friedensdienst, über die Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, Konfliktbewältigung in der Ukraine und feministische Außenpolitik.

Herr Mauz, die Bundesregierung formuliert erstmals eine „Nationale Sicherheitsstrategie“. Wie schätzen sie diese ein?

Erst mal finden wir es gut, dass es überhaupt den Gedanken gab, eine Nationale Sicherheitsstrategie zu entwerfen und ein übergeordnetes Konzept von Sicherheit zu verhandeln. Wir finden es auch gut, dass Aspekte der Friedensarbeit und Konfliktbearbeitung berücksichtigt worden sind.

Aber was vermissen Sie darin?

Uns fehlt ein längerfristiges Bekenntnis zum Thema Frieden. Der Sicherheitsbegriff fokussiert ziemlich stark auf militärische Sicherheit, Abschirmung und Stabilisierung. Die Strategie umfasst außerdem keinen Aktions- und Umsetzungsplan. Das macht uns etwas Sorge, weil wir im aktuellen Haushaltsentwurf die Nationale Sicherheitsstrategie nicht so richtig reflektiert sehen. Es gibt massive Kürzungen im Auswärtigen Amt, im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und im Bereich Krisenbewältigung und Wiederaufbau. Das passt nicht zusammen mit den formulierten Zielen der Nationalen Sicherheitsstrategie. Da stellen wir uns die Frage, welche Relevanz sie für die Bundesregierung hat.

Wie funktioniert aus Ihrer Sicht nicht-militärische Sicherheit?

Wir müssen stärker Konzepte für Friedensarbeit und Konfliktprävention auch in die Nationale Sicherheitsstrategie integrieren. Es gibt die Leitlinien unseres Beirats, der auch für die Bundesregierung Vorschläge gemacht hat, wie zivile Konfliktprävention in der Sicherheitsstrategie formiert und umgesetzt werden kann. Aus unserer Sicht ist dieser Beitrag des Beirats nicht prominent genug verortet worden in der Strategie.

Wie muss man sich zivile Konfliktprävention vorstellen?

Zivile Konfliktprävention, wie wir sie in den Leitlinien definiert haben, bedeutet, dass wir stärker gesellschaftliche Potenziale nutzen müssen, beispielsweise Konfliktlösungspotenziale. In jeder Gesellschaft gibt es Menschen, die sich mit Konflikten auseinandergesetzt haben und es gibt Mechanismen, wie man lokale Konflikte löst. Dort anzudocken und diese Arbeit längerfristig zu fördern, etwa in der Ukraine, aber auch in anderen Kontexten, das ist ein klarer Vorschlag an die Bundesregierung. Das bedarf einer längerfristigen Strategie, weil solche Prozesse Zeit brauchen.

In der Ukraine ist Krieg. Wo wollen Sie momentan dort „andocken“ mit ziviler Prävention?

Die Frage ist: Wann ist ein Krieg zu Ende? Ist ein Krieg zu Ende, wenn die militärische Gewalt aufhört? Das glauben wir nicht. Kriege wirken nach. Kriege kommen meistens nach ein paar Jahren wieder hervor, das ist wissenschaftlich erwiesen. Kriege führen aber immer zu innergesellschaftlichen Konflikten. Jetzt schon beispielsweise die Akteure in der Zivilgesellschaft in der Ukraine zu fördern, damit sie auch beim gesellschaftlichen Wiederaufbau der Ukraine eine starke Stimme haben – das finden wir sehr wichtig.

Aber wie soll das funktionieren mitten im Krieg?

Indem man jetzt schon Akteure ausbildet, wie sie mit dem innergesellschaftlichen Konfliktpotenzial, aber auch mit dem gegenüber Russland, umgehen können und vermittelt, wie Versöhnungsprozesse und die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen aussehen könnten. Das ist momentan für uns ein Schwerpunkt, der nicht vernachlässigt werden sollte.

Die Nationale Sicherheitsstrategie soll die Resilienz Deutschlands stärken, etwa durch geringere Rohstoff-Abhängigkeit. Wie sehen Sie diesen Punkt?

Konflikte um Rohstoffe begleiten uns seit fast 25 Jahren. Zentral ist die Frage: Wer profitiert von den Rohstoffen? Dort, wo sie gefunden werden, führt das immer zu innergesellschaftlichen Konflikten – wie man jetzt in Mali, Niger und Gabun sehen kann oder seit langem in Nigeria. Wir haben ja eine Zunahme an Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen erfahren. Wie das Heidelberger Institut für internationale Konfliktforschung herausgearbeitet hat, geht der Trend eindeutig in eine sehr negative Richtung. Der Umgang Frankreichs mit dem postkolonialen Erbe zeigt, dass das Thema Rohstoffe zunehmend Konfliktpotenzial birgt, und dass man dort nicht nur auf einer politischen, sondern auch auf einer gesellschaftlichen Ebene agieren muss.

Was könnten Sie da tun?

Wir arbeiten mit lokalen Behörden heraus, wie Gemeinden an solchen Geschäften profitieren können, damit ein Großteil des Geldes vor Ort bleibt und die Lebensbedingungen dort verbessert werden können. Das hat fast nie stattgefunden.

Haben Sie die jüngsten Regierungsumstürze in Westafrika überrascht?

Nein, in Westafrika bricht etwas auf, das schon lange da ist, unter anderem eine Neupositionierung der Staaten gegenüber dem Globalen Norden. China und Russland spielen dort eine größere Rolle. Die Folgen des Kolonialismus und was er gesellschaftlich bedeutet hat wurden jahrelang negiert. Was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis von mindestens zehn Jahren Ignoranz des Globalen Nordens gegenüber dem Globalen Süden. Man erkennt daran ganz konkret, dass, auch wenn wir diese Konflikte nicht immer vor Augen haben, sie trotzdem da sind.

Nochmal zur Nationalen Sicherheitsstrategie: Daran sind Außen-, Finanz-, Innen- und Verteidigungsministerium beteiligt. Fehlt ihnen da ein Ressort?

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist nicht allzu prominent in der Nationalen Sicherheitsstrategie verortet. Dennoch ist es eben dasjenige Ministerium, das für langfristige Entwicklungszusammenarbeit zuständig ist. In diesem Rahmen wird auch Friedensarbeit finanziert und Konfliktprävention berücksichtigt. Für Diplomatie und Sicherheitslogik ist eher das Auswärtige Amt zuständig.

Apropos: Mit Annalena Baerbock steht eine Ministerin an der Spitze des Außenministeriums, die eine feministische Außenpolitik vertritt. Spielt dieser Gesichtspunkt für Ihre internationale Arbeit eine Rolle?

Er spielt eine sehr große Rolle. Wir begrüßen sehr, dass das jetzt so aktiv und offensiv benannt wird, auch das BMZ setzt ja feministische Leitlinien in der Entwicklungszusammenarbeit um. Unsere Erfahrung ist, dass Gesellschaften friedlicher und wohlhabender sind, wenn die Menschen am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben gleichberechtigt teilhaben. Prozesse sind nachhaltiger und die Lösungen berücksichtigen die unterschiedlichen Interessen stärker, wenn Frauen mit am Verhandlungstisch sitzen. Extrem wichtig ist der Zugang von Frauen zu Ressourcen und damit zu Veränderungspotenzial. Das ist in vielen Kontexten noch nicht der Fall.

Grundsätzlich gesehen: Was bedeutet Frieden für Sie?

Frieden ist mehr als Sicherheit, es ist ein nachhaltiges Konzept. Sich darüber grundlegend Gedanken zu machen, wie man Friedenskapazitäten stärken kann, welche Rolle Deutschland hat beispielsweise mit der Rüstungskontrolle, bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern – das wäre etwas, das uns entscheidend weiterhelfen würde. Eine Nationale Friedensstrategie bräuchte ein integriertes Friedensmanagement zwischen Auswärtigem Amt und BMZ.

Das Interview führte Tatjana Coerschulte und wurde ursprünglich auf der Webseite der Frankfurter Rundschau veröffentlicht.

Die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) ist ein Zusammenschluss von staatlichen Organisationen, kirchlichen Hilfswerken, zivilgesellschaftlichen Netzwerken und politischen Stiftungen.

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