Die Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann hat die Erfahrungen von 113 der 908 Afghan*innen dokumentiert, die zwischen Dezember 2016 und März 2020 aus Deutschland abgeschoben worden sind.
Rückkehrenden nach Afghanistan drohen Gefahr für Leib und Leben, Verelendung und Verfolgung. Unter anderem werden ihnen wegen der Flucht nach Europa Verrat, Verwestlichung, unmoralisches Verhalten oder die Abkehr vom Islam vorgeworfen. Die Familien von Europa-Rückkehrenden sind dadurch ebenfalls gefährdet. Auch deshalb fehlt abgeschobenen Afghan*innen vielfach das überlebenswichtige familiäre Netz. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Sozialwissenschaftlerin und Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann im Auftrag der Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und der Diakonie Hessen.
Die Studie „Erfahrungen und Perspektiven abgeschobener Afghanen im Kontext aktueller politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen Afghanistans“ basiert auf mehrjähriger Forschung. Stahlmann hat darin Erfahrungen von 113 der 908 Afghanen dokumentiert, die zwischen Dezember 2016 und März 2020 aus Deutschland abgeschobenen wurden. Nahezu alle erlebten Gewalt. Bei vielen Betroffenen war dies darin begründet, dass sie nach Europa geflohen waren, dort gelebt hatten oder abgeschoben worden waren.
Wie Khalil O., dessen Familie von den Taliban bedroht wurde, als er zurückkam. So wurde er gleich nach der Ankunft in Kabul von seiner Familie gewarnt, nicht nach Hause zu kommen Denn die Taliban hätten sie schon bedrängt, ihn auszuliefern. Er solle stattdessen fliehen. Kurz darauf brach der Kontakt zu seiner Familie dauerhaft ab. Seitdem lebt er mit Schuldgefühlen und der Angst, dass seine Abschiebung seine Familie womöglich das Leben gekostet habe: „Bis ich zurückgekommen bin, war meine Familie okay. Wegen mir wurden sie bedroht, jetzt sind sie verschollen. Ich kann nicht schlafen. Ich denke immer darüber nach, ob sie noch leben, und dass ich schuld bin.“
Abgeschobene haben kaum Hoffnung auf minimale Existenzsicherung
Die Analyse der Erfahrungen Abgeschobener zeigt zudem, dass das spezifische Risiko, Opfer von Gewalt zu werden und der weitgehende soziale Ausschluss auch die Hoffnungen der Abgeschobenen auf minimale Existenzsicherung zunichte machen. Schon bevor die humanitäre Not durch die Corona-Pandemie rapide eskalierte, waren 93 Prozent der Bevölkerung extrem arm. In dieser Situation haben Abgeschobene schon allein aufgrund ihres sozialen Ausschlusses keine realistische Chance, ihre Existenz zu sichern. 75 Prozent der Abgeschobenen haben hauptsächlich von privater Unterstützung aus dem Ausland gelebt, nur einer hatte existenzsichernde Arbeit. Knapp 15 Prozent waren teilweise oder dauerhaft obdachlos und schutzlos der Witterung ausgeliefert. Die meisten Abgeschobenen haben das Land schon wieder verlassen.
Brot für die Welt, Diakonie Deutschland und die Diakonie Hessen fordern einen sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan.
(Textteile zuerst veröffentlicht und entnommen aus : https://Erfahrungen-und-perspektiven-abgeschobener-afghanen)