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Auf ins Gipfeljahr 2019

Wie Friedensakteure die Überprüfung von SDG 16 nutzen können
FriEnt
Agenda 2030
SDG 16
Deputy Secretary-General Amina J. Mohammed I UN Photo I Loey Felipe

2019 wird ein entscheidendes Jahr für die Zukunft des nachhaltigen Entwicklungsziels (SDG) 16 für friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften. Höhepunkt ist das sogenannte High Level Political Forum im Juli in New York, wo erstmalig auch fragile und von Konflikten betroffene Staaten über die Umsetzung der Agenda 2030 berichten. Für Friedensakteure eine große Chance und Herausforderung, die Themen aus SDG 16 in den Mittelpunkt zu rücken und um hochrangige politische Unterstützung zu werben.

Impuls 01/2019 von Marc Baxmann, FriEnt

„Am schwierigsten zu erreichen“, „nicht messbar“, „überambitioniert und überkomplex“, „zu politisch“, „wo anfangen?“ – die Skepsis gegenüber der Umsetzung von SDG 16 für friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften ist nach wie vor groß. Und keine Frage: SDG 16 ist kompliziert. Die Widerstände, die es gegenüber der Aufnahme von SDG 16 in den Verhandlungen gab, schlagen sich nun auch in der Umsetzung nieder: Staaten tendieren dazu, sich eher auf die „einfacheren“ SDGs zu konzentrieren. Gleichzeitig ist es auf globaler Ebene angesichts der Krise des Multilateralismus nicht einfacher geworden, Initiativen zur Prävention und Lösung gewaltsamer Konflikte zu starten – allen Anstrengungen des UN-Generalsekretärs zum Trotz.

Aber gerade deshalb ist es höchste Zeit, SDG 16 wieder in den Mittelpunkt zu rücken, bietet es doch eine positive Orientierung in Zeiten von steigender Gewalt sowie populistischen und autoritären Tendenzen. Gemeinsam mit anderen friedensrelevanten Zielen bildet SDG 16 das Fundament für friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften. SDG 16 ist mit all seinen Unterzielen – von Gewaltprävention über Rechtsstaatlichkeit und Anti-Korruption bis zu inklusiven Institutionen – eng mit der erfolgreichen Umsetzung aller anderen SDGs verbunden. Das Ziel gehört zu den innovativsten und transformativsten Aspekten der Agenda 2030. Es liegt in der Natur des SDG 16, dass es gleichzeitig besonders schwierig zu greifen, umzusetzen und zu messen ist.

Aber wo stehen wir wirklich bei der Umsetzung von SDG 16? Wo gibt es Fortschritte und wo Rückschritte? Wie können Erfolge bei der Stärkung friedlicher, gerechter und inklusiver Gesellschaften auf lokaler, nationaler und globaler Ebene erfasst werden? Und was braucht es dafür? Das High Level Political Forum (HLPF) 2019 bietet eine einzigartige Gelegenheit, dem Fatalismus hinsichtlich SDG 16 Erfolgsgeschichten und positive Bespiele entgegenzustellen und damit das Verständnis von und die Unterstützung für SDG 16 zu fördern.

Seit 2016 ist das HLPF der zentrale Ort für die Überprüfung der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Im Jahr 2018 haben über 2.000 hochrangige Regierungsvertreter*innen sowie Vertreter*innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, dem Privatsektor und VN-Organisationen am HLPF teilgenommen. Gerade dieser Austausch unterschiedlicher Stakeholder der SDG-Umsetzung ist ein wesentlicher Eckpfeiler des HLPFs. Immer mehr Länder stellen dabei den Stand der Umsetzung in freiwilligen Staatenberichten vor.

Das HLPF besteht aus einer Expertenwoche mit thematischen Reviews einzelner SDGs und dem Ministersegment, bei dem Staaten ihre nationalen Berichte zur Umsetzung der Agenda 2030 (Voluntary National Reviews, VNR) vorstellen. Zahlreiche Side-Events von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren beleuchten Prinzipien und Ziele der Agenda 2030.

2019 finden gleich zwei HLPFs statt. Das „reguläre HLPF“ vom 09.-18. Juli 2019 auf Ministerebene unter der Leitung des ECOSOC sowie das hochrangige HLPF im September auf Ebene der Staats- und Regierungschefs unter der Leitung der VN-Generalversammlung (daher auch häufig “SDG-Gipfel” genannt). In diesem Format findet das HLPF nur alle vier Jahre statt. Dieses Jahr wird eine Zwischenbilanz der SDG-Umsetzung insgesamt gezogen. Außerdem soll ein Prozess angestoßen werden, um das HLPF selbst in seiner Funktion zu stärken und zu reformieren.

Thematisch wird sich das erste HLPF im Juli dem Jahresthema „Empowering people and ensuring inclusiveness and equality” widmen. Darunter fällt u.a. die thematische Überprüfung von SDG 16 und SDG 10 (Ungleichheit), aber auch SDG 4 (Bildung), SDG 8 (menschenwürdige Arbeit) und SDG 13 (Klima) stehen zur Überprüfung an.

Darüber hinaus haben sich erstmalig eine Reihe von fragilen und von Konflikten betroffenen Staaten (Sierra Leone, Tschad, Zentralafrikanische Republik, Cote d’Ivoire, Timor-Leste) bereit erklärt, freiwillige Fortschrittsberichte (Voluntary National Reviews, VNRs) zu präsentieren und über Herausforderungen und Fortschritte bei der Umsetzung der Agenda 2030 auf nationaler Ebene zu berichten.

Worauf es aus Friedensperspektive ankommt

Die beiden HLPFs in diesem Jahr sind eine große Chance, um friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften sowohl als Grundlage für die Umsetzung aller SDGs, als auch als eigenständiges Ziel der Agenda 2030 in den Mittelpunkt zu rücken. Dabei sollte es um das konkret Machbare gehen und um die Darstellung von Erfolgsgeschichten und Lösungsansätzen zur Umsetzung von SDG 16. Ziel muss es sein, dass sich Staaten und andere Stakeholder auf mehr Engagement im Bereich SDG 16 verständigen und konkrete „Deliverables“ für einen bestimmten Zeitraum vereinbaren.

Drei Dinge sind für dieses Ziel entscheidend:

Erstens wird es darum gehen, ein breites Bündnis von friedenspolitischen Organisationen und staatlichen „Champions“ für friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften zu formen, um gemeinsame Botschaften zu formulieren und für mehr Anstrengungen zur Erreichung von SDG 16 auf lokaler, nationaler und globaler Ebene zu werben und dabei konkrete (gemeinsame) Umsetzungsmaßnahmen vorzuschlagen. Initiativen wie die „Pathfinders“ oder das 16 Plus Forum stärken die Vernetzung von Akteuren im Vorfeld des HLPF.

Die Herausforderung ist jedoch: Im Gegensatz zu anderen SDGs gibt es kein griffiges Kampagnenthema, hinter dem sich die unterschiedlichen Akteure versammeln könnten. Eine ganze Reihe von Organisationen – insbesondere im Umfeld der Pathfinder – wird sich daher auf „Zugang zu Justiz“ als Kristallisationspunkt konzentrieren. Für die Themen Gewaltprävention und Friedensförderung scheint es hingegen schwieriger, ein griffiges Thema für die politische Kommunikation auf dem HLPF zu finden. Vielleicht wäre es hier sinnvoll, eine gemeinsame “Vision zur Halbierung von Gewalt bis 2030” zu kommunizieren.

Zweitens wird es darauf ankommen, Fortschritte und konkrete Erfolge zu demonstrieren. Hierfür ist es wichtig, dass möglichst viele Staaten intensiv über die Umsetzung von SDG 16 berichten, dazu ermuntert und dabei unterstützt werden. Sowohl die UNDP Global Alliance als auch das Partners for Review Programm der deutschen Bundesregierung arbeiten bereits daran. Hier spielt auch die Zivilgesellschaft in den Ländern eine wichtige Rolle, um Regierungen an ihre Verantwortung zur Überprüfung von SDG 16 zu erinnern und sich mit eigenen Beiträgen in die entsprechenden Überprüfungsprozesse einzubringen.

Netzwerke wie das TAP Network oder die Civil Society Platform for Peacebuilding and Statebuilding (CSPPS) planen dafür Maßnahmen zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure – insbesondere aus den erstmalig berichtenden fragilen und von Konflikten betroffenen Ländern. Häufig ist die Zivilgesellschaft aus diesen Ländern in besonderen Maß vom globalen Trend der Shrinking Civic Spaces erfasst. Die Umsetzung der Agenda 2030 muss sich daher auch daran messen lassen, wie inklusiv der Dialog zwischen Regierung und Zivilgesellschaft dort abgelaufen ist und welche Mechanismen dies sicherstellen können. Auch kann hier die internationale Unterstützung zur Schattenberichterstattung besonders sinnvoll sein.

Drittens müssen die Schnittstellen und Wechselwirkungen von SDG 16 und anderen SDGs stärker ins Blickfeld kommen, um SDG 16 als Katalysator für die Erreichung anderer Ziele zu positionieren. Laut Präambel der Agenda 2030 sind „die Querverbindungen zwischen den Zielen für nachhaltige Entwicklung und deren integrierter Charakter“ von ausschlaggebender Bedeutung. Die SDGs sollen sich gegenseitig unterstützen. Der breite thematische Ansatz der SDGs bietet damit das Potential, bisher unterbelichtete Wechselwirkungen und Synergien von Frieden und nachhaltiger Entwicklung unter die Lupe zu nehmen, mögliche Konflikte deutlich zu machen und neue integrierte Ansätze zu entwickeln. Ziel muss es dabei einerseits sein, dass Fortschritte bei der Erreichung eines SDGs nicht auf Kosten eines anderen gehen und andererseits, dass Politiken identifiziert werden, die möglichst auf mehrere SDGs positiven Einfluss entfalten.

Viele Akteure in anderen SDG-Bereichen sind sich sehr darüber im Klaren, dass „ihr“ SDG ohne friedlichere, gerechtere und inklusivere Gesellschaften nicht zu erreichen sein wird. Mit diesen Akteursgruppen muss der Austausch intensiviert werden, um integrierte Lösungsansätze zu erproben. Es wäre wünschenswert, wenn dieses Potential auch in entsprechenden Side-Events des HLPF genutzt und der Austausch der verschiedenen Communities dadurch intensiviert wird.

Mehr Partizipation wagen

Die Vorbereitung des HLPF 2019 hat längst begonnen: Die Prozesse zur Erstellung der freiwilligen Staatenberichte laufen an, regionale Workshops und Expertentreffen zu SDG 16 sind in Vorbereitung. Bereits jetzt können sich zivilgesellschaftliche Organisationen an einer Konsultation zur Überprüfung von SDG 16 beteiligen.

Von der nationalen bis zur internationalen Ebene braucht es die umfassende und systematische Beteiligung der Zivilgesellschaft, um die Umsetzungsprozesse mit innovativen Ideen und kritischen Fragen zu bereichern. Der Schutz und die Ausweitung der Beteiligungsformate muss dabei hohe Priorität sein.

Momentum für den SDG-Gipfel nutzen

Bereits zwei Monate nach dem HLPF im Juli wird im September der SDG-Gipfel stattfinden. Von diesem Gipfel muss ein starkes Signal für eine ambitionierte Umsetzung der Agenda 2030 ausgehen. Friedensakteure sollten versuchen, dass Momentum der SDG 16 Überprüfung zu nutzen, um den darin verankerten Themen die gleiche Aufmerksamkeit wie Klima, Gesundheit oder Bildung zu verschaffen und in der politischen Erklärung des SDG-Gipfels zu verankern.

Idealerweise werden in dieser politischen Erklärung des SDG-Gipfels neue Zusagen und Verpflichtungen seitens der internationalen Gemeinschaft gemacht. Es steht jedoch angesichts der derzeitigen geopolitischen Lage in Frage, in wie weit sich die Staatengemeinschaft überhaupt auf eine ambitionierte Erklärung verständigen kann. Viele Beobachter*innen befürchten sogar ein Zurückfallen hinter die ambitionierte und transformative Vision der Agenda 2030. Aus Friedensperspektive wäre dieses Ergebnis sehr enttäuschend. Umso wichtiger ist es, sich engagiert in die Debatte einzubringen und starke Allianzen zu formen.

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