In der Corona Pandemie eröffnen sich oft neue Handlungsspielräume für das Militär, die auch zu Machtmissbrauch führen. Rechte von Minderheiten sind dadurch besonders gefährdet. Ein Gegengewicht können zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse bilden.
Mitarbeitende des Zivilen Friedensdienstes in Ländern wie Sri Lanka und Myanmar machen sich zunehmend mehr Sorgen um die Einschränkung von Rechtsstaatlichkeit sowie die Verletzung von Menschenrechten als um die Eindämmung der Pandemie. In beiden Ländern spielt das Militär dabei eine bedeutsame Rolle. Sowohl in Myanmar als auch in Sri Lanka übte das Militär in der Vergangenheit große politische Macht aus und verletzte vielfach Menschenrechte. Auch wenn der Bürgerkrieg in Sri Lanka seit 2009 als beendet gilt und in Myanmar seit 2016 eine Zivilregierung im Amt ist, hat das Militär in beiden Ländern weiterhin sehr viel Einfluss. Insbesondere Minderheiten, die von Interventionen des Militärs besonders betroffen waren und teilweise immer noch sind, sind der Armee gegenüber kritisch eingestellt.
Wie haben sich die Aktivitäten des Militärs in Coronazeiten verändert und wie reagieren die Akteure des Zivilen Friedensdienstes auf die neuen Herausforderungen?
Andauernde Kampfhandlungen und mangelnde Informationsmöglichkeiten
Am 23. März wurde in Myanmar die erste COVID-19 Infektion offiziell bestätigt. Am gleichen Tag erklärte die Regierung die Arakan Army zur Terrororganisation und verstärkte die Kämpfe gegen die Gruppe bewaffneter ethnischer Rakhine, die seit Ende 2018 für mehr Unabhängigkeit von der Zentralregierung kämpft. Journalist*innen mit Kontakten zur Arakan Army wurden strafrechtlich verfolgt und mehr als 220 Internetauftritte teilweise ethnischer und regierungskritischer Medienorgane abgestellt.
Zwar erklärte das Militär am 10. Mai den von internationalen Vertretungen und Ethnic Armed Organizations (EAOs) geforderten Waffenstillstand, verstärkte aber strategische Kämpfe in ethnischen Gebieten, in denen es sich bislang nicht durchsetzen konnte. Zusätzlich wurden lokale Initiativen der EAOs in den Shan und Kachin Staaten gegen die Ausbreitung des Coronavirus torpediert.
Die Zivilbevölkerung leidet unter den kämpferischen Auseinandersetzungen, besonders in den Rakhine und Chin Staaten. Genaue Zahlen sind schwer zu erheben, aber zivilgesellschaftliche Organisationen sprechen von 32 zivilen Todesopfern und rund 70 Verletzten durch Kampfhandlungen der Armee zwischen dem 23. März und Mitte April 2020. Die Zahl der intern Vertriebenen stieg von 128.000 Ende Februar auf mehr als 160.000 im Mai. Gleichzeitig sind mehr als eine Million Menschen von Informationen abgeschnitten, da bereits im Juni 2019 das Internet in acht Townships in Chin und dem nördlichen Rakhine abgeschaltet wurde, um die Arakan Army zu schwächen. Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus sind unter diesen Umständen kaum durchzuführen.
Militärgestützte Eindämmung von Corona und Einschränkung von Minderheitenrechten
Auch in Sri Lanka spielt das Militär eine große Rolle beim Umgang mit der Pandemie. So wurde ein National Prevention Centre for Prevention of COVID-19 outbreak und eine Presidental Task Force einberufen, anstatt auf andere bereits existierende staatliche Strukturen zurückzugreifen. Das Prevention Centre wird vom Armeechef Shavendra Silva geleitet. In beiden Gremien übernehmen – teilweise ehemalige – Armeeangehörige zentrale Aufgaben. Einige von ihnen waren in den 1980er Jahren im selben Regiment eingesetzt wie der amtierende Präsident Gotabaya Rajapaksa. Vielen von ihnen werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bürgerkriegs vorgeworfen. Die Denkweise dieses militärischen Personals spiegelt sich auch in den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus wider. So wurden in Sri Lanka die meisten Quarantänezentren im Osten und Norden des Landes errichtet, und damit in Gebieten, die weiterhin am stärksten von den Folgen des Bürgerkriegs betroffen sind. Die meisten Infektionsfälle aber gab es zum damaligen Zeitpunkt in anderen Regionen. Zudem werden häufig Militärstützpunkte als Quarantänezentren benutzt und Soldat*innen übernehmen die Umsetzung von Maßnahmen.
Während der weniger als zwölf Stunden vorher angekündigten Ausgangssperren ab dem 18. März wurden rund 60.000 Menschen verhaftet, die sich nicht an Ausgangssperre gehalten hätten. Die Regelungen waren allerdings gerade in der Anfangszeit kaum klar definiert. Augenzeugen berichteten, dass auch Personen festgenommen wurden, die Lebensmittel verteilt haben, und dass Minderheiten, wie Muslime, besonders betroffen waren. Das Gesetz, das besagt, dass die Leichen der an COVID-19 verstorbene Personen verbrannt werden müssen, hat das Vertrauen muslimischer und christlicher Minderheiten in die Regierung weiter getrübt. Die Erdbestattung ist für sie aus theologischen Gründen wichtig und die WHO hat sie nicht als bedenklich eingestuft. Die tamilische Minderheit in Sri Lanka sieht die Rolle des Militärs aufgrund von Erfahrungen während des Bürgerkriegs ebenfalls mehrheitlich skeptisch. Auch weil heute Methoden zur Nachverfolgung von Infektionsketten eingesetzt werden, die in der Vergangenheit dazu dienten, Angehörige der tamilischen Minderheit zu überwachen – zum Beispiel das Tracking von Mobilfunkdaten.
Das Militär als bedeutsamer Akteur in Coronazeiten
So unterschiedlich die beiden Beispiele auch sind, sie haben gemeinsam, dass viele der fragwürdigen Maßnahmen dadurch legitimiert werden, das Virus eindämmen zu müssen. Darüber hinaus werden Kritiker*innen zunehmend zum Schweigen gebracht, indem man auf Gesetze zurückgreift, die eigentlich Falschinformationen verhindern sollen. Überfüllte Flüchtlingslager und Gefängnisse werden in Kauf genommen, auch wenn sie die Verbreitung des Virus eher befördern.
Die lokalen myanmarischen Organisationen im Zivilen Friedensdienst befürchten, das Militär könnte die Situation nutzen, um sich militärische Vorteile zu verschaffen. Die Öffentlichkeit schaut nicht hin und konzentriert sich derweil auf die Eindämmung der Corona-Pandemie, und der internationale Druck auf Regierung und Militär lässt nach, was den Friedensprozess in Zukunft weiter belasten wird. Auch in Sri Lanka sind Minderheiten besonders von Corona betroffen. Dort machen sich die Mitarbeitenden der Partnerorganisationen Gedanken, ob Rechtsstaatlichkeit in der aktuellen Situation zunehmend außer Kraft gesetzt wird – worunter Minderheiten wiederum voraussichtlich besonders leiden würden.
In Sri Lanka sind die Parlamentswahlen im Moment für den 5. August terminiert. Sri Lankas Präsident Gotabaya Bajapaksa hat das Parlament bereits Anfang März 2020 aufgelöst. Eigentlich müssen Neuwahlen innerhalb von drei Monaten stattfinden. Coronabedingt wurden sie mehrfach verschoben. Über die Corona-Maßnahmen entscheidet die Regierung damit ohne parlamentarische Kontrolle. Es ist zu befürchten, dass diese Strukturen auch in Zeiten nach Corona leichter durchzusetzen sind. Momentan sieht es zudem so aus, als ob sich politische und militärische Akteure aufgrund der niedrigen Fallzahlen im Land als „erfolgreiche Krisenbewältiger“ darstellen können – was sich bei den kommenden Wahlen in Stimmgewinnen für die Sri Lanka Freedom Party niederschlagen könnte.
Zivilgesellschaftliche Stimmen und Initiativen stärken
Gerade in einer Situation großer Unsicherheit gilt es lokale Verwaltungen zu beraten konfliktsensibel zu agieren und besonders gefährdete Gruppen, wie Minderheiten, zu unterstützen. In Fällen von Menschenrechtsverletzungen geht es darum, zivilgesellschaftliche Initiativen vor Ort zu stärken, die aktuelle Lage zu beobachten, zu dokumentieren und sich gegen Menschenrechtsverletzungen und diskriminierende Vorgehensweisen auszusprechen. So fordert The Asian NGO Network on National Human RightsInstitutions (ANNI) in einem Ende Mai 2020 veröffentlichten Statement ein aktiveres Eintreten der Myanmar National Human Rights Commission (MNHRC) gegen die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen seit dem Ausbruch von Corona. Sie fordern, dass Kampfhandlungen im Land eingestellt werden. Bei diesen wurden wiederholt auch medizinische Einrichtungen und „COVID-19 Screening Posts“ von ethnischen Gruppierungen angegriffen. Gefährdete Gruppen wie internally displaced persons sowieethnische und religiöse Minderheiten, die von struktureller Gewalt betroffen sind und wenig Zugang zu Schutzmaßnahmen und medizinischer Behandlung haben, sollten hingegen besonders unterstützt werden.
Da Institutionen wie die Myanmar National Human Rights Commission dies kaum tun, konzentrieren sich Organisationen des Zivilen Friedensdienstes vermehrt darauf, Missstände nicht nur aufzudecken und zu benennen, sondern auch selbst aktiv zu werden. So werden beispielsweise Informationen über Corona und mögliche Schutzmaßnahmen auch in Lokalsprachen ethnischer Minderheiten veröffentlicht. Zudem wird die Öffentlichkeit für Hate Speech und stereotype Zuschreibungen sensibilisiert, welche zum Beispiel muslimische Minderheiten sowohl in Myanmar als auch in Sri Lanka für die Verbreitung von Corona verantwortlich machen.
In den beiden Ländern scheinen sich Konfliktlinien zwischen verschiedenen Gruppierungen verstärkt zu haben. In Sri Lanka kam es zu Boykottaufrufen gegen muslimische Geschäfte – wie nach den islamistischen Angriffen zu Ostern 2019. Für umso wichtiger halten unsere ZFD-Partnerorganisationen zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse, welche ethnische und religiöse Grenzen überwinden. So haben sich verschiedene Initiativen in allen 25 Distrikten Sri Lankas zu einem Civil Society Collective for COVID-19 Response zusammengeschlossen, um in Absprache mit den lokalen Regierungen die Bevölkerung während Corona zu versorgen: mit Nahrungs- und Hygienemitteln aber auch mit psychosozialen Angeboten in Institutionen wie Frauenhäusern oder Kinder- und Altenheimen. Dadurch werden Kooperationen sowohl zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren aber auch zwischen diesen und lokalen Regierungsverantwortlichen gestärkt, was ein Gegengewicht zum Einfluss des Militärs bildet.
Die Situation in den beiden Ländern zeigt auf, was passiert, wenn Maßnahmen sich primär auf gesundheitliche und ökonomische Faktoren konzentrieren. Aber viele Fragen sind vor allem in Kontexten mit einer langen Konfliktgeschichte keine neutralen Abwägungen: Wie werden welche Maßnahmen zur Eindämmung von Corona umgesetzt? Wer hat die Regelungen erlassen? Wie wird ihre Einhaltung kontrolliert? Programme wie der Zivile Friedensdienst sollten aus diesem Grund nicht hinter anderen Nothilfemaßnahmen zurücktreten, sondern gerade als ein integraler Bestandteil angesehen werden. Sie können dazu beitragen, dass, die Konfliktsensitivität von Maßnahmen mitbedacht und Rechte von Minderheiten geschützt werden, gerade in Umbruchzeiten.