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Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus in China und später in der ganzen Welt haben den globalen Warenfluss zerrüttet. Zunächst brachen die Exporte von Rohstofflieferungen ein, dann die Nachfrage aus den Konsumländern der OECD-Welt. Die Krise wirft damit auch einen Scheinwerfer auf die sozialen Missstände in globalen Lieferketten.
Seit langem zeichnen sich globale Lieferketten dadurch aus, dass die Menschen unter teils katastrophalen Bedingungen arbeiten müssen. Nicht zuletzt werden ihre Arbeitsrechte und weitere grundlegende Menschenrechte systematisch verletzt. Jahrzehnte unternehmerischer Nachhaltigkeits-Programme, Multistakeholder-Initiativen und internationale Leitsätze haben daran kaum etwas geändert. Durch die Folgen der Covid-19-Krise sind die Verlierer*innen dieser Strukturen deutlicher denn je erkennbar: Millionen von Arbeiter*innen stehen vor dem Nichts. Viele sind mit Gewalt konfrontiert.
In Bangladesch etwa wurden Warenbestellungen in einem Gesamtwert von 3,15 Millarden Dollar im Zuge der Pandemie storniert oder verschoben. Ende März waren deshalb rund 1,2 Millionen Arbeiter*innen ohne Einkommen, etwa ein Viertel der Textilarbeiter*innen im Land. Auch in Indien waren die Folgen des plötzlich durchgeführten Lockdowns am 24. März dramatisch. Mit der kurzfristig angekündigten Schließung von Märkten, Geschäften und Fabriken fanden in indischen Städten nicht nur chaotische Notkäufe, sondern auch massive Migrationsbewegungen statt, denn die Arbeiter*innen – viele von ihnen Tagelöhner – mussten zurück in ihre Heimatdörfer, um in der Subsistenz ihr Überleben zu sichern. Die Massenbewegungen waren teilweise begleitet von heftiger Gewalt durch die Polizei oder hindu-nationalistische Milizen. Ein anderes dramatisches Beispiel ist Brasilien, das hinsichtlich der Covid19-Todesfälle derzeit nur von den USA übertroffen wird. Hier traf die Pandemie insbesondere die Arbeiter*innen in der Fleischindustrie. Ähnlich wie in Deutschland mussten diese trotz des Lockdowns bei unzureichendem betrieblichen Gesundheitsschutz weiterarbeiten, mit den erwartbaren Folgen für das Leben und die Gesundheit vieler tausender Menschen.
Die Dramatik dieser Beispiele offenbart nicht nur einen teils fatalen politischen Umgang mit der Krise durch nationale Regierungen, sondern auch die fragile Struktur sozialer Mindeststandards in globalen Lieferketten. In der Pandemie brachen viele privatwirtschaftliche Zusicherungen zur Übernahme sozialer Verantwortung in sich zusammen. So war etwa vom vielfach beschworenen ‚responsible disengagement‘ in Produktionsmärkten nicht viel zu sehen: Diverse große Markenfirmen und Einzelhändler erfüllten noch nicht einmal bestehende Vertragsverpflichtungen gegenüber Zulieferern, als die Krise aufkam. Sie beriefen sich stattdessen – rechtlich durchaus fragwürdig – auf Vertragsklauseln zu ‚höherer Gewalt‘. Gewerkschaften im Globalen Süden sind derweil angesichts unzureichender Freiheiten, gewaltsamer Repression und hoher Informalität der Arbeit oft schwach. In der jetzigen Krise können sie oft nicht mehr tun, als Lebensmittelpakete gegen den Hunger zu verteilen.
Die Krise zeigt allzu deutlich, wie mangelhaft der Menschenrechtsschutz entlang der Lieferkette ist und wie dringend umfassende Lieferkettengesetze benötigt werden, gerade in ökonomischen Krisenzeiten. Denn die Pandemie verstärkt die Konfliktlinie zwischen betriebswirtschaftlicher Handlungslogik und menschenrechtlicher Sorgfalt. Dies wird nicht kurzfristig mit der Eindämmung der Pandemie behoben sein. Daneben dürften weiter geschwächte Gewerkschaftsnetzwerke, Gewalt gegen organisierte Arbeiter*innen und zunehmende Militarisierung einem verbesserten Menschenrechtsschutz in der Zukunft noch stärker entgegenstehen als bisher.