Die globale Sicherheitsordnung wankt. Deutschland und Europa müssen sich nun auch militärisch emanzipieren. Die neue Bundesregierung muss schnell und der kritischen Lage angemessen handeln. Doch es bleibt umstritten, welche Reformen Deutschland international handlungs- und strategiefähiger machen. Heusgen, Kochanke und Müller verknüpfen in der FAZ vom 8.3.25 die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats mit der Zusammenlegung der außen- und entwicklungspolitischen Ressorts. Nur wenn das Auswärtige Amt durch die Entwicklungspolitik gestärkt würde, könne sich ein künftiger Außenminister auf einen Nationalen Sicherheitsrat einlassen. Also eine der zentralen Stärken deutscher Außenbeziehungen – Entwicklungspolitik und ihr Umsetzungsapparat – als Bauernopfer machtpolitischer Erwägungen.
Vieles spricht für einen Nationalen Sicherheitsrat. Allem voran eine dringend notwendige Steigerung der Politikkohärenz zwischen international tätigen Ressorts – vom Innenministerium, das Polizeikräfte entsendet bis zum Wirtschaftsministerium, das Außenhandel fördert. Das Leitbild für kohärente Sicherheitspolitik findet sich in der Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands: integrierte Sicherheit. Der Auftrag im Grundgesetz geht noch weiter: dem Frieden in der Welt zu dienen. Sicherheit mittels einer Logik der Abwehr und Verteidigung, ist hier eng verbunden mit Friedenssicherung und Konfliktprävention mittels einer Logik der Kooperation. Ein Nationaler Sicherheitsrat würde zwischen übergeordneten und ressortspezifischen Interessen vermitteln. Im Bundeskanzleramt angesiedelt, würde er zentral zur Strategiefähigkeit Deutschlands beitragen.
Im Zentrum integrierter Sicherheit steht gemeinwohlorientierte Sicherheitspolitik, die zivile und militärische Komponenten mit einer Mittel- und Langfristperspektive integriert. Sie baut auf Deutschlands Stärken: Deutschland als Zivilmacht hat ein starkes und international anerkanntes Profil in der zivilen Krisenprävention, im Peacebuilding und der auf langfristige Strukturreformen ausgerichteten Entwicklungspolitik. Die Wirtschaftsmacht Deutschland ist mit 2,4 Milliarden US Dollar weltweit der größte Geber in der zivilen Krisenarbeit. Mit dem Rückzug der USA wird dies noch sichtbarer und die Erwartungen an Deutschland größer. Hier setzt Deutschland – eine verlässliche Demokratie im Herzen Europas – als Vertreterin freiheitlicher Werte und einer regelbasierten internationalen Ordnung an. Deutschland kann und sollte im Einklang mit seinen Interessen seine Rolle als globales Vorbild im Einstehen für freiheitliche Rechte und Werte weiter ausbauen – nicht “auch”, sondern “erst recht” im Aufbau einer neuen globalen Sicherheitsarchitektur.
Richtig ist, dass strukturelle Reformen notwendig sind, um die Wehrhaftigkeit Deutschlands sicherheits- und friedenspolitisch zeitnah herzustellen. Dies bedeutet aber auch, die Prioritäten richtig zu setzen. Investitionen in die Bundeswehr gehören dazu. Ein nationaler, effektiv koordinierender Sicherheitsrat mit breitem Mandat und Kabinettsrang ebenfalls.
Kontraproduktiv wäre hingegen, zivile Kooperation – für nachhaltige Entwicklung, für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Stabilität, für den gemeinsamen Umgang mit Klimawandel und Artensterben – als die derzeit stärkste Säule deutscher internationaler Politik abzubauen. Denn: Deutschlands militärische Emanzipation braucht Zeit.
Es scheint en vogue, mögliche Ressortzusammenlegungen damit zu begründen, dass Deutschlands eigenständige Entwicklungspolitik international eher eine Ausnahme darstellt. Verschwiegen werden dabei die nachweislich katastrophalen Auswirkungen der Zusammenlegungen von Außen- und Entwicklungspolitik auf beispielsweise britische und australische strategische Partnerschaften in Afrika, Asien, Lateinamerika. So sieht eine unabhängige Evaluierung den Einbruch britischer Meinungsführerschaft in der globalen Politik, im Verlust entwicklungspolitischer Expertise und einer zu sehr profitorientierten Privatisierung britischer Außenbeziehungen begründet.
Für Deutschland ist spätestens seit dem neuen Kurs der USA gegenüber Russland oder auch den Vereinten Nationen klar: Es ist nicht tragfähig, zivile und transformative Kooperationspolitiken und -instrumente einer in geopolitischen Stimmungsschwankungen gefangenen Diplomatie unterzuordnen. Stattdessen gilt es, eben die Systeme zu stärken, die potenziell destruktive geopolitische und geoökonomische Konkurrenz in konstruktive Formen des wettbewerblichen Miteinanders wenden. Gemeinsam mit Strukturen für Abwehr und Verteidigung.
Deutschlands Sicherheit ist auf strategische Allianzen, stabile Nachbarschaften und die Fähigkeit angewiesen, sich selbst eben dort zu verteidigen, wo die Logik der Kooperation gescheitert ist. Ein Nationaler Sicherheitsrat kann dazu effektiv beitragen. Eine langwierige Strukturreform der gesamten deutschen internationalen Zusammenarbeit mitten im “Epochenbruch” nicht.
Dieser Beitrag von Anna-Katharina Hornidge und Julia Leininger ist am 21. März 2025 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht worden.