Die globale Krise trifft die Ärmsten am stärksten. Das gilt für die westlichen Metropolen und den globalen Süden. Fragile Staaten, Kriegs- und Nachkriegsregionen sind am wenigsten auf die Pandemie vorbereitet. Die wirtschaftlichen Folgen, sozialen Verwerfungen und Konfliktpotenziale lassen sich derzeit kaum abschätzen. Sicherheit muss neu definiert werden und Abrüstung ist dringend geboten.
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Die globale Krise trifft die Ärmsten am stärksten. Das gilt für die westlichen Metropolen und den globalen Süden. Fragile Staaten, Kriegs- und Nachkriegsregionen sind am wenigsten auf die Pandemie vorbereitet. Die wirtschaftlichen Folgen, sozialen Verwerfungen und Konfliktpotenziale lassen sich derzeit kaum abschätzen. Sicherheit muss neu definiert werden und Abrüstung ist dringend geboten.
Viele Fachleute und Politiker*innen teilen die Einschätzung, dass der Welt die größte gesundheitliche, sozioökonomische und finanzielle Krise seit dem zweiten Weltkrieg droht. Inzwischen hat das Virus auch weniger begünstigte Weltregionen und damit unter anderem die afrikanischen Länder erreicht. Hier trifft die Corona-Epidemie auf Ernährungskrisen, Klimaveränderungen, Gewaltkonflikte und Vertreibung, in Staaten mit den schwächsten Gesundheitssystemen der Welt. In vielen Regionen werden die lokalen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kaum ausreichen. Zahlreiche afrikanische Länder benötigen Finanzhilfen für ihre Gesundheitssysteme und gegebenenfalls auch Schuldenerleichterungen.
Kriegs- und Nachkriegsregionen sind am allerwenigsten auf eine solche Pandemie vorbereitet. In Ländern wie Syrien oder Jemen sind infolge jahrelanger Gewaltkonflikte so gut wie keine funktionstüchtigen Gesundheitseinrichtungen mehr vorhanden. Hier kommt es auf den Einsatz der internationalen Hilfsorganisationen an, die Zugänge zu den Bedürftigen erhalten müssen. Von daher ist der Aufruf von UN-Generalsekretär Antonio Guterres an bewaffnete Akteure, die Waffen schweigen zu lassen, um eine Bewältigung der Corona-Krise zu ermöglichen, von großer Bedeutung.
Ein weiteres Risiko besteht darin, dass das Virus in vielfältiger Weise politisch instrumentalisiert wird. Autokratische Regime weltweit nutzen die Chance, ihre Macht zu festigen, die Schuld für Missstände auf andere zu schieben, oder im Zuge von Ausnahmeregelungen die Opposition mundtot zu machen (z.B. in Thailand, Bangladesch, oder auf den Philippinen).
„Sicherheit“ braucht funktionierende Gesundheitssysteme, nicht mehr Rüstung
„Ich habe mich lange nicht mehr so wütend, hilflos, deprimiert, ratlos gefühlt“ schrieb kürzlich ein mit Brot für die Welt befreundeter Friedensforscher, der sich in Friedensprozessen in der Pazifikregion engagiert, „es ist bitter zu sehen, in welch verkommenem Zustand sich das öffentliche Gesundheitswesen vielerorts in diesen doch so reichen Gesellschaften befindet (ein Hoch auf den Neoliberalismus), während gleichzeitig immense Steigerungen der ‘Verteidigungs’haushalte durchgesetzt werden mit der Begründung, dies sei im Interesse ‘unserer’ ‘Sicherheit’. Unsere Sicherheit braucht ein funktionierendes Gesundheitssystem, nicht mehr Rüstung und Militär. Ebenso bitter ist es auch zu sehen, wie die Lage der Menschen im Globalen Süden aus dem Blick und dem Wahrnehmungshorizont gerät.“ (Dr. Volker Böge, Brisbane, Australien)
Das Konzept der „Menschlichen Sicherheit“, das vor 25 Jahren im UN-Kontext entstand und von der Staatenwelt breit akzeptiert wurde, umfasst das Recht der Menschen auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit. Es ist tatsächlich erstaunlich mitanzusehen, dass es selbst in relativ wohlhabenden Weltregionen an Masken und Schutzmaterial mangelt, während der Militärhaushalt kräftig erhöht wird, um der NATO-Vorgabe gerecht zu werden. Dieses krasse Missverhältnis sollte einmal mehr Anlass geben, dem vorherrschenden Diskurs um „Sicherheit“ kritisch zu begegnen, öffentlich und in allen politischen Gremien.
„Menschliche Sicherheit“ erfordert Einsparungen bei den Militärausgaben
Auch die Umsetzung der 2017 erstellten Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern; Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ sollte unter neuen Vorzeichen diskutiert werden. Es gilt, gemeinsam mit denVereinten Nationen, der EU, OECD und OSZE zusätzliche und innovative wirtschaftliche, soziale und gesundheitspolitische Instrumente zu entwickeln, die den krisenbedingten sozialen Verwerfungen und Konfliktpotenzialen entgegenwirken. Die Notwendigkeit, die UNO darin zu unterstützen und aufzuwerten, wurde inzwischen vom deutschen Entwicklungsminister Müller erkannt. Aber auch die internationalen Finanz- und Wirtschaftsinstitutionen müssen Wege für einen solidarischen Umgang mit den Krisenfolgen eröffnen, um einkommensschwache Länder vor weiteren Schocks zu bewahren.
Darüber hinaus braucht es Mechanismen, die vergleichbaren Katastrophen in Zukunft wirksam vorbeugen, „menschliche Sicherheit“ ernstnehmen und im Einklang mit ökologischer Transformation global definieren. Auch die Europäische Union müsste ihre Politik verändern und ihre Nachbarschaftspolitik auf nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung anstelle von militärischen Potenzialen richten. Finanziert werden müssten all diese Initiativen durch die Umwidmung von Mitteln aus den Rüstungsbudgets. Der Verzicht auf weitere Aufrüstung – also eine Abkehr vom 2-Prozent-Ziel der NATO und vom überteuerten EU-Verteidigungsfonds – wäre jetzt ein Schritt in die richtige Richtung.