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Dr. Tanja Kasten

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Globaler und gerechter

Friedenspolitische Perspektiven für eine nationale Sicherheitsstrategie
31. Mai 2022
Oliver-Cole-kyfbj21HwfA | Unsplash

Frieden braucht mehr als Koordination und Zusammenarbeit. Kann eine nationale Sicherheitsstrategie diesen Anspruch einlösen? Eine wesentliche Anforderung dazu aus der FriEnt-Diskussion: Mehr Multilateralismus – auch mit dem Globalen Süden und mit Blick auf Ungerechtigkeiten des internationalen Systems im „aufgeklärten Eigeninteresse“.

Wer Sicherheit will, braucht Friedenspolitik – unter dieser Überschrift stand die FriEnt-Diskussion am 11. Mai 2022 zu Anforderungen und Perspektiven an eine nationale Sicherheitsstrategie. Nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine steht der Strategieprozess nun unter den Vorzeichen der aktuellen Debatte um den künftigen Kurs der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Bleibt in dieser Situation noch Raum, um Erkenntnisse aus Krisenprävention, Friedensförderung und ziviler Konfliktbearbeitung in den Diskurs einzubringen und in der neuen Strategie zu verankern?

Auf dem Podium gab es dazu Hinweise zu den Chancen und Risiken der aktuellen Sicherheitsdebatte und ein starkes Plädoyer für multilaterale und globale Friedenspolitik im „aufgeklärten Eigeninteresse“. Mit Blick darauf kritisieren Ute Finckh-Krämer (Plattform Zivile Konfliktbearbeitung) und Nina Bernarding (Centre for Feminist Foreign Policy) die Diskreditierung ziviler Ansätze und Instrumente in der aktuellen Diskussion. Es dominiere ein militärisches Sicherheitsverständnis, das strukturelle Fragen, globale Risiken und den Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Sicherheit vernachlässige. Multilaterale Regeln auch jenseits von EU und NATO und eine aktive Auseinandersetzung mit Ungleichheit und (Un-)Gerechtigkeit sollten viel stärker in den Blick genommen werden. Besonders die Umsetzung der UN Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ verlange mehr Aufmerksamkeit in ihrer Bedeutung für menschliche Sicherheit – auf nationaler und internationaler Ebene. Die Unterstützung für zivile Friedensakteure und Bearbeitungsansätze sowie eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Bedingungen und Anforderungen an Frieden und Sicherheit sei dafür zentral.

Chancen und Risiken einer nationalen Sicherheitsstrategie

Auch für Ursula Schröder (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg) ist eine enge multilaterale Zusammenarbeit entscheidend für eine nationale Sicherheitsstrategie, um komplexe Krisen multi-perspektivisch zu bearbeiten. Eine strategische Friedens- und Sicherheitspolitik im deutschen Interesse müsse auch die Ungerechtigkeiten des internationalen Systems aktiv adressieren und Reformen anstoßen. Sie unterstreicht dazu die Verknüpfung von Krisenprävention und Klimapolitik als eine wichtige Ebene für das multilaterale Engagement – verbunden mit den notwendigen Ressourcen und einer institutionellen Verankerung für die Umsetzung der nationalen Sicherheitsstrategie.
Jochen Steinhilber (BMZ, Abteilung Flucht; Krisenprävention; Zivilgesellschaft) sieht in der engen Verzahnung von Außen- und Entwicklungspolitik ein entscheidendes Element, um alle Dimensionen menschlicher Sicherheit gleichberechtigt zu bearbeiten und auch nicht-militärische Risiken in den Blick zu nehmen. Das gelte für die Klimakrise und für die Pandemiebekämpfung, aber auch für den Umgang mit Autokratien. Aktuell fänden sicherheitspolitische Entscheidungen überwiegend in westlichen Organisationen wie EU und NATO statt; nicht nur für die Bearbeitung globaler Herausforderung sei aber eine breitere Perspektive nötig. Die nationale Sicherheitsstrategie biete eine wichtige Chance, um attraktive Angebote für die multilaterale Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden zu entwickeln; auch jenseits von Schlüsselstaaten wie Indien, Brasilien und Südafrika.

Eine Chance für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs zur Außenpolitik

In der Diskussion wurde deutlich, dass der Strategieprozess vor dem Hintergrund des Kriegsgeschehens in der Ukraine Chancen und Risiken bietet: Einerseits bestehe die Gefahr, dass dadurch wichtige Aspekte für nicht-militärische Dimensionen von Sicherheit ausgeblendet oder vernachlässigt werden; anderseits biete sich dadurch die Gelegenheit für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs zur Außenpolitik.

Der Strategieprozess unter Federführung des Auswärtigen Amtes sieht dazu eine Outreach-Phase vor, um Austausch und Dialog zu ermöglichen sowie um Beiträge aus unterschiedlichen Politikfeldern und Akteursgruppen aufzugreifen. Ein Vorbild für dieses Verfahren ist die Entwicklung der Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“, wenn auch mit einem deutlich kürzeren Zeithorizont. Die Konsultationsphase endet im Sommer, und der Strategieentwurf soll bis zum Ende des Jahres vorliegen. Im Zentrum der Strategie steht demnach ein umfassendes Verständnis von menschlicher Sicherheit, das auch globale Risiken und strukturelle Faktoren einschließt. Wie sich dieser Anspruch für die konkrete Ausgestaltung der nationalen Sicherheitsstrategie umsetzen lässt, stand im Mittelpunkt der abschließenden Diskussionsrunde.

Mehr globale und europäische Zusammenarbeit

Wie können menschliche Sicherheit und das Verständnis von Frieden als inklusiver Prozess – im Sinne der Leitlinien und mit Blick auf eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik – durch eine nationale Sicherheitsstrategie in sichtbare und praktische Politik übersetzt werden? Die Panelist*innen auf dem Podium formulierten dazu konkrete Anforderungen und Empfehlungen, verbunden mit einem Plädoyer für einen kohärenten Gesamtansatz, der deutlich über Koordination und Ressortzusammenarbeit hinausgeht. Multiple und sich überlagernde Krisenkontexte müssen demnach multisektorial und auf unterschiedlichen Ebenen bearbeitet werden: durch bilaterales und europäisches Politikhandeln und durch eine enge internationale Zusammenarbeit, gemeinsam mit dem Globalen Süden.

Zentrale Bezugspunkte seien dabei die Bedrohungen und Sicherheitsbedarfe für marginalisierte Gruppen und der Abbau struktureller Ungleichheiten. Nina Bernarding unterstrich dazu die Zieldimension einer feministischen Außenpolitik, die Inklusion und Diversität in den Mittelpunkt stellt. Ein wichtiges Element für den Strategieprozess sei deshalb eine enge Einbindung der Zivilgesellschaft – auch für die Umsetzung und weitere Ausgestaltung der Strategie. Ute Finckh-Krämer verwies dazu ergänzend auf die Bedeutung von Erinnerungskultur und Narrativen für die zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung und warnte vor einer Rückkehr zur Politik des Kalten Krieges. Komplexe Bedrohungen und globale Risken seien mit militärischen Mitteln nicht zu bewältigen.

"Wicked Problems" und komplexe Krisen

Ähnlich argumentierte auch Jochen Steinhilber, der dazu aufrief, die Vielfaltigkeit von Konflikten zu adressieren und die globale Dimension im Blick zu behalten. Die Entwicklung der nationalen Sicherheitsstrategie unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs dürfe nicht dazu führen, dass dieser Krieg als Deutungsmuster den Strategieprozess und den politischen Diskurs bestimme. Um strukturellen Problemen zu begegnen und nachhaltige Transformationsprozesse zu unterstützen, brauche es eine Verknüpfung von kurz- und langfristigen Bearbeitungsansätzen. „Erschöpfte Gesellschaften sind anfällig für Krisen“, so Steinhilber. Besonders in der Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden und im Umgang mit Autokratien sei deshalb die Unterstützung der Zivilgesellschaft entscheidend.

Ursula Schröder unterstützt dieses Plädoyer, geht in ihren Politikempfehlungen aber noch einen Schritt weiter. Für „wicked problems“, also vielfache und komplexe Krisen, die sich politisch nur schwer bearbeiten lassen, reiche ein vernetzter Ansatz nicht aus. Innere und äußere Sicherheit müssten stattdessen deutlich besser verknüpft werden, auch über bisherige Ressortgrenzen hinweg und mit einer starken europäischen Komponente. Ziel sei es, „die europäische Vision vorwärts zu verteidigen.“ Nationale Sicherheitsstrategien rekurrierten auf einen Nationalstaat, der nicht alle Risiken bewältigen könne: „Das Schutzversprechen des Staates wird nicht immer einzuhalten sein.“ Notwendig sei deshalb eine offensive europäische Politik mit einem starken gesellschaftlichen Gegenentwurf in der Auseinandersetzung mit autoritären Regimen – mit einer differenzierten Integration der osteuropäischen Staaten.

Die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) ist ein Zusammenschluss von staatlichen Organisationen, kirchlichen Hilfswerken, zivilgesellschaftlichen Netzwerken und politischen Stiftungen.

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