Im Südkaukasus wächst die Sorge vor einer weiteren Konflikteskalation in Nagorny Karabach. Die militärischen Vorfälle im Grenzbereich zwischen Aserbaidschan und Armenien sowie zwischen der Konfliktregion und Aserbaidschan nahmen bereits im vergangenen Jahr besorgniserregende Ausmaße an. Die Friedensverhandlungen stagnieren und die Bemühungen von außen haben bisher nicht zu einer Lösung des Konfliktes führen können.
Vor diesem Hintergrund standen am 20. Februar aktuelle Herausforderungen und Potentiale für Friedensförderung und Krisenprävention in der Region ein weiteres Mal im Mittelpunkt des FriEnt-Rundtischs Südkaukasus. Zu Gast war Craig Oliphant von der britischen NRO Saferworld. Er präsentierte die Ergebnisse einer Studie zu den Perspektiven und Sicherheitsbedürfnissen der betroffenen Menschen in den Grenzregionen und leitete daraus Empfehlungen für Politik und Praxis ab.
Die Ergebnisse der Studie zeigen: Die Sicherheitsbedürfnisse und darauf bezogenen Friedensperspektiven der lokalen Bevölkerung unterscheiden sich je nach spezifischem Kontext vor Ort: Die Situation an der umstrittenen de facto Grenzlinie zwischen Aserbaidschan und Nagorny Karabach ist geprägt durch starke Militarisierung auf beiden Seiten. Die Bevölkerung, die fast ausschließlich auf aserbaidschanischer Seite dieser Grenze inmitten völkerrechtlich anerkanntem aserbaidschanischem Territorium lebt, sieht sich einer kontinuierlichen Bedrohung ausgesetzt. Dahingegen ist die nationale Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan beidseitig von Zivilbevölkerung bewohnt. Auch wenn die Grenze ebenfalls geschlossen und militärisch scharf bewacht ist, ist die Situation hier weniger angespannt. Hier ließen sich eher Ansätze im gegenseitigen Interesse entwickeln. Jedoch finden die Grenzregionen allgemein wenig Aufmerksamkeit, so dass allen gemeinsam das Gefühl der Isolation und Hoffnungslosigkeit ist.
Ein externes Engagement in den Grenzregionen sollte den Zusammenhang zwischen Sicherheit und Entwicklung im Blick haben. Wichtig wären einerseits Minenräumprogramme oder die Entsendung unabhängiger Beobachter, um Grenzvorfälle zu dokumentieren. Anderseits kommen auch vertrauensbildenden Maßnahmen in der akuten Lage ein besonderer Stellenwert zu, um die Verunsicherungen und lebensbedrohlichen Situationen einzugrenzen und Spannungen abzubauen. So sind Programme, die die Existenzgrundlagen in den grenznahen Gebieten sichern, und das Wassermanagement und die Nutzung der grenznahen Weidegründe regeln, von Bedeutung. An lokale Bedürfnisse angepasste Maßnahmen auf Gemeindeebene bieten einen geeigneten Einstieg. Langfristig sollten vertrauensbildende Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Lokale Perspektiven müssen in die Ausgestaltung dieser Maßnahmen, die vornehmlich auf einen Wandel von Überzeugungen und Verhalten abzielen, einbezogen werden.
Der fehlende politische Wille zur Konfliktlösung stellt eine massive Herausforderung für die Friedensarbeit in der Region dar. Friedenspotentiale auf Graswurzel und mittlerer gesellschaftlicher Ebene sind vorhanden, stehen jedoch nicht in Verbindung mit den Verhandlungsprozessen, die ausschließlich auf höchster Ebene stattfinden. Eine weitere Herausforderung sind die sehr ungleichen Rahmenbedingungen und Verhältnisse in den Ländern, beispielsweise in Hinblick auf Vertriebene, die in Aserbaidschan in die Nähe der Grenzen umgesiedelt wurden. Im Vorfeld der Wahlen in Armenien und der Präsidentschaftswahlen in Aserbaidschan im Herbst 2013 ist das Risiko politischer Vereinnahmung von zivilgesellschaftlichen Friedensbemühungen besonders hoch.
Friedensbemühungen und vertrauensbildende Maßnahmen müssen grundsätzlich auf allen gesellschaftlichen Ebenen unterstützt und initiiert werden. In Situationen in denen auf höchster Ebene der politische Wille fehlt, sollte sich die Unterstützung auf lokale, auf Graswurzelebene stattfindende Friedensbemühungen konzentrieren. Diese hätten das Potential, in andere gesellschaftliche Ebenen direkt einzuwirken: So können in Zeiten umfassender Transformationsprozesse – dies zeigen auch Erfahrungen aus Georgien/Abchasien – junge Führungskräfte aus Graswurzelebene über zivilge-sellschaftliches Engagement in kürzester Zeit in höchste politische Ämter kommen.
Eine große Herausforderung bleibt die Frage nach Möglichkeiten des Engagements in und mit nicht anerkannten Territorien. Für eine nachhaltige Friedensentwicklung können die Konfliktregionen nicht ausgeschlossen bleiben und es sollte nach kreativen Wegen im Um-gang mit den Betroffenen gesucht werden.