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Balancieren am Abgrund

Europäische Friedensfaszilität beschlossen. EU gibt Geld für Waffen
Global Partnerships
Greg-Rosenke | RT3QngqeIEc | Unsplash

Es wird als Paradigmenwechsel in der EU-Sicherheitspolitik bewertet: mit zusätzlichen rund 5,7 Milliarden Euro sollen erstmals Waffen- und Munitionslieferungen an Drittstaaten durch die EU finanziert werden. Diese sogenannte European Peace Facility (EPF) entschied der Rat der Europäischen Union am 22. März. Expert*innen fürchten, dass die Waffen in falsche Hände geraten und Konflikte weiter befeuern.

Die Idee ist schnell erzählt: Die EU will Soldat*innen, die in Krisenregionen für Sicherheit sorgen und die Bevölkerung vor terroristischen Angriffen schützen sollen, schlagkräftiger ausstatten. Bislang sorgt die EU für Know-how, Ausbildung und technisches Equipment (Train and Equip), ab sofort wird sie auch Waffen und Munition an Drittstaaten liefern. „Die EU will damit zur Konfliktverhütung, zur Friedenserhaltung und zur Stärkung der internationalen Stabilität und Sicherheit beitragen“, erklärt der Europäische Rat in seiner Pressemitteilung.

Keine gute Bilanz bei militärischen Hilfen

Die Bilanz bisheriger militärischer Ausbildungs- und Ausrüstungshilfen stimmt allerdings wenig hoffnungsvoll. Diese Programme stärken oft Regierungen, die selbst nicht demokratisch legitimiert sind und gegen Menschenrechte oder Rechtsstaatskonventionen verstoßen. Oder sie hilft Sicherheitskräften, die Teil des Konflikts sind. Schon länger berichteten deutsche Medien, wie 2018 der Spiegel und erst kürzlich ARD-Monitor, über Menschenrechtsverletzungen der malischen Armee, die unter anderem von der EU und von der deutschen Bundesregierung ausgebildet und ausgerüstet wird. Großes Aufsehen erregten Bilder von Internierungslagern in Libyen, in denen die von der EU unterstützte libysche Küstenwache Geflüchtete festhält. Hilfsorganisationen berichten, die Lebensbedingungen in den Internierungslagern seien katastrophal, Misshandlungen und Folter seien weit verbreitet.
Mit der Entscheidung des Europarates befürchten Fachleute vor allem Waffen-Lieferungen an Armeen in der Sahel-Region. Mit Mali, Niger und Tschad wären damit auch solche Länder Empfänger, deren Regierungen an bewaffneten Konflikten beteiligt sind oder deren Armeen wiederholt Menschenrechtsverletzungen und Repressionen gegen Zivilgesellschaft begangen haben.

Unter dem Radar parlamentarischer Kontrolle

Der neue Geldtopf entsteht außerhalb des regulären EU-Haushalts, weil die europäischen Verträge keine gemeinsamen Militärausgaben erlauben. Darum wird das Europäische Parlament keine Rechte haben, um den Einsatz der Mittel zu kontrollieren oder Rechenschaft einzufordern. Allein die Regierungen der Mitgliedstaaten werden darüber entscheiden, welchen Staaten sie Waffen und Ausrüstung zukommen lassen. Ein verbindlicher Sanktionsmechanismus für die Verletzung von Menschenrechten ist ebenfalls nicht vorgesehen, Sanktionen werden lediglich als Option erwähnt.
Nicht zum ersten Mal warnten im November 2020 internationale Friedensorganisationen, darunter auch viele FriEnt Mitglieder, vor den erheblichen Risiken dieser Konstruktion. Sie forderten vor allem, die Lieferung von Waffen und Munition auszuschließen und stattdessen mehr für zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung zu tun. Impulse berichtete. „Die Friedensfazilität wird eher zur Destabilisierung beitragen, wenn sie noch mehr Waffen in den Sahel bringt“, meinte Mitunterzeichner Olivier Guiryanon von der Organisation BUCOFORE aus dem Tschad.

Konfliktursachen überwinden als Conditio sine qua non

Allen Vorsicht-Rufen aus Friedensforschung und Zivilgesellschaft zum Trotz haben die Außenminister*innen der EU-Mitgliedstaaten das Vorhaben am 22. März beschlossen. „Die Unterstützungsmaßnahmen werden in eine klare und kohärente politische Strategie eingebunden und von sorgfältigen Risikoabschätzungen und soliden Sicherheitsmaßnahmen begleitet,“ verspricht der Europarat in seiner Pressemitteilung.
Dazu könnte aus meiner Sicht einmal gehören, mit rechtsverbindlichen zu regeln, dass europäische Waffen nicht an menschenrechtsverletzende Regime oder in Kriegs- und Krisengebiete gelangen.

Außerdem sollten aus den bisherigen Erfahrungen Schlüsse gezogen werden. Ein Prüfbericht des Europäischen Rechnungshofs über die EU-Missionen zur Ausbildung des Sicherheitssektors in Mali und Niger stellte im Jahr 2018 die Nachhaltigkeit der “Ertüchtigungsmaßnahmen” zum Beispiel stark in Frage. Die Überwindung von Konfliktursachen sei nicht erfolgt. Diese einzuplanen, könnte ebenfalls Teil der kohärenten politischen Strategie sein. FriEnt wird sich diesen Fragen in Zukunft weiter widmen. (KJ)

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References

Press release of the European Council

EU sets up the European Peace Facility

Audit report of the European Court of Auditors

EU-Missionen in Mali und Niger, 2018

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