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Der Ansatz „Viel hilft Viel“ ist gescheitert

Einschätzung der internationalen EZ in Afghanistan
BMZ
Monitoring and Evaluation (M&E)
Kabul, Afghanistan. Photo: Mohammad Rahmani.

Im Auftrag des BMZ haben renommierte Experten das langjährige Engagement internationaler Geber in Afghanistan ausgewertet. Daraus können Ableitungen für die künftige Aufstellung der Gebergemeinschaft gezogen werden.

Seit mehr als 18 Jahren engagiert sich die Bundesregierung in Afghanistan und erlebt dort die besonderen Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit in einem von Krieg und Terror gezeichneten Land. Vor diesem Hintergrund hat das zuständige Regionalreferat des BMZ seit dem Jahr 2005 mehrere Evaluierungen und Portfolio-Reviews mit externen Gutachtern durchgeführt und ein System zum Monitoring der Maßnahmen aufgebaut. Für den Zeitraum 2021/22 plant das BMZ eine Portfolio Review oder Evaluierung (abhängig von der Sicherheitslage). Um dafür eine Datenbasis zu erhalten, hat das Ministerium Professor Christoph Zürcher von der Universität Ottawa beauftragt, eine Meta-Review von Evaluierungen internationaler Geber im Zeitraum 2008 – 2018 durchzuführen. Die Review soll dem Evaluationsteam belastbare Daten an die Hand geben, wie es um die Sektoren bestellt ist, in denen die Bundesregierung agiert und was dies für ihr zukünftiges Engagement bedeutet. Zudem sollte für das BMZ eine analytische Grundlage geschaffen werden, um zu klären, wie sich die internationale Gemeinschaft in Afghanistan zukünftig und im kommenden Friedensprozess am besten aufstellt.

Darüber hinaus sollten aus den Erfahrungen Ansätze für andere fragile Kontexte, zum Beispiel Irak, Libyen, Mali oder Syrien abgeleitet werden. Mittels einer systematischen Literaturrecherche haben Prof. Zürcher und sein Team englischsprachige Publikationen aus dem Zeitraum 2008-2018 identifiziert. Sie durchsuchten sechs große Datenbanken und recherchierten zusätzlich manuell Studien aller OECD/DAC-Länder, multilateraler Geber (Weltbank, Asiatische Entwicklungsbank, UNO), NGOs sowie Publikationen des Special Inspector General for the Reconstruction of Afghanistan (SIGAR). Anhand von strengen Inklusionskriterien wählten sie 148 Evaluierungen aus, teilten sie in fünf Gruppen auf, analysierten und fassten sie und in der Meta-Review zusammen. Entstanden sind daraus fünf Berichte sowie das zusammenfassende (Chapeau-)Papier: Meta-Review of Evaluations of Development Assistance to Afghanistan, 2008 – 2018.

Es gelang kaum, die hereinströmenden Mittel produktiv zu nutzen

Die Meta-Review ist der zurzeit umfangreichste systematische Überblick über den Stand der internationalen Bemühungen in Afghanistan. Das Chapeau-Papier beleuchtet die Ergebnisse in dem Kontext, den die internationale Gemeinschaft vorfand. Zu nennen sind hier insbesondere Krieg, Terror und eine immer schlechtere Sicherheitslage. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die komplexe politische Ökonomie der afghanischen Gesellschaft mit ihren unberechenbaren Eigendynamiken. Von Tag eins an war die Gebergemeinschaft mit einem fragmentierten, instabilen politischen Umfeld konfrontiert, in dem es den Eliten teils an Reformwillen und vor allem an Kapazitäten fehlte. Deshalb gelang es kaum, die hereinströmenden Mittel produktiv zu nutzen und zu steuern.

Auch die Unterstützung von Maßnahmen in sensiblen Sektoren wie Good Governance, Gender, Menschenrechte, Dezentralisierung und Antikorruption hielt sich in Grenzen. Insbesondere die SIGAR-Berichte belegen Rent-Seeking-Verhalten und Korruption, die wiederum das Misstrauen der Bevölkerung in die Regierung schürten. Im Gesamtkontext ist aber auch die politische Ökonomie der Gebergemeinschaft in Frage zu stellen. Sie stand unter einem enormen Handlungsdruck durch die Politik: Unter schwierigsten Sicherheitsbedingungen sollte sie schnelle Ergebnisse erzielen und die Köpfe und Herzen der Bevölkerung gewinnen. Grundsätze wie Wirksamkeit und Nachhaltigkeit wurden dabei mitunter hinten angestellt.

Am besten funktionieren kleine, lokal eingebettete Projekte

Bemerkenswert ist, dass die Befunde zu den Sektoren Governance, Afghanistan Reconstruction Trust Fund (ARTF), sub-nationale Regierungsführung, Stabilisierung, Bildung, Gesundheit, Gender, nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Infrastruktur und Kapazitätsentwicklung in allen fünf Berichten sehr ähnlich ausfallen. Es hat beachtliche Erfolge gegeben – der Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung, Grundbildung, Elektrizität und sauberem Trinkwasser wurde verbessert, Straßen und Brücken wiederaufgebaut, rudimentäre staatliche Dienstleistungen geschaffen. Kleine Infrastruktur und Ausbildung haben die Lebensgrundlagen in ländlichen Gemeinden verbessert – doch die meisten der ehrgeizigeren Ziele wurden verfehlt.

Insgesamt sticht ein Befund deutlich heraus: Die internationale Gemeinschaft hat wiederholt überschätzt, was sie selbst und ihre afghanischen Partner leisten können, um einen raschen sozialen Wandel herbeizuführen. Am besten funktioniert haben bescheidene, lokal eingebettete Projekte mit unmittelbarem, greifbarem Nutzen für die Bevölkerung. Komplexe Projekte, die auf wirtschaftliche Entwicklung, Verhaltensänderungen, den Aufbau institutioneller Kapazitäten in der afghanischen Verwaltung, Rechtsstaatlichkeit oder Gender abzielten, waren selten erfolgreich. Aufgrund der schwachen institutionellen Kapazitäten stellen fast alle Evaluierungen in Frage, dass die Ergebnisse nachhaltig Bestand haben. Die meisten Evaluierungen weisen darauf hin, dass die Erfolgsmaßstäbe unklar und die Monitoring- und Evaluationssyteme der Geber ungenügend sind. Wirkungen und Ergebnisse seien so nur schwer messbar und damit fehle die Grundlage, um zu lernen und sich konzeptionell und operativ besser aufzustellen. Der vielleicht bizarrste Befund der Meta-Review ist, dass trotz zahlreicher kritischer Evaluierungen nur wenige Geber ihre Ansätze grundlegend verändert haben.

Nachhaltigkeit sicherstellen und evaluieren

Seit dem Abzug der ISAF (International Security Assistance Force) Mission der NATO im Jahr 2014 hat das Afghanistan-Referat, unter anderem aufgrund der Beratung von Professor Zürcher, viele der Erkenntnisse der Meta-Review antizipiert und aufgegriffen. Das Portfolio wurde kontinuierlich angepasst und bei der Implementierung wird zum Beispiel deutlich mehr Wert auf Capacity Building gelegt, um den nachhaltigen Betrieb und die Wartung der getätigten Investitionen sicherzustellen. Einiges bleibt noch zu tun: Es geht vor allem darum, die Maßnahmen noch stärker im systemischen Kontext zu denken, das polit-ökonomische Umfeld und die Anreizstrukturen zu analysieren sowie konzeptionell zu internalisieren und die Maßnahmen nach der Übergabe durch ein Ex-post Monitoringsystem zu beobachten. Auf diese Weise können wir die Evaluierbarkeit verbessern, langfristige Wirkungen genauer messen, mehr über das sozio-kulturelle Umfeld lernen und begreifen, warum bestimmte Dinge funktionieren und andere nicht.

Zeit, um selbstkritisch Lehren zu ziehen und umzudenken

Vielleicht zeigt sich nirgendwo so deutlich wie in Afghanistan, dass der Ansatz „Viel hilft viel“ nicht selten das Gegenteil bewirkt. Die Ergebnisse der Meta-Review stimmen sehr nachdenklich, sie sind unbequem für die internationale Gebergemeinschaft und das ist positiv zu bewerten. Denn vor allem sollten wir die Meta-Review als eine großartige Chance begreifen, selbstkritisch Lehren zu ziehen und zu lernen. Für alle internationalen Geber gilt es, sich zukünftig und im kommenden Friedensprozess besser abzustimmen. Dazu gehört auch, realistischere und verbindliche Ziele zu setzen und mehr Wert auf Wirksamkeit und Nachhaltigkeit zu legen. Vor allem müssen wir die Anstrengungen verstärken, die Korruption zurückzudrängen und Konflikt treibende Ursachen wie Zugang zu Land, Wasser und Ressourcen zu entschärfen, um den Menschen in Afghanistan nach mehr als 18 Jahren Krieg endlich eine Perspektive zu geben.

Die Berichte der Meta-Review sowie des Evaluierungs- und Monitoringansatzes des Afghanistan-Regionalreferats des BMZ können hier abgerufen werden.

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