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Die Bedeutung von Ambiguitätstoleranz

Einblicke in die Friedensarbeit
Konsortium ZFD
peacebuilding
prevention
Gerd Scheuerpflug. Foto: GIZ/ZFD.

Gerd Scheuerpflug ist seit vielen Jahren für die Friedensförderung unterwegs. Anlässlich des Jubiläums „20 Jahre Ziviler Friedensdienst“ gibt er uns einige persönliche Einblicke in seine Arbeit.

Was führte vor 20 Jahren zur Gründung des ZFD?

“Die Vorgeschichte des ZFD geht zurück bis zum Zweiten Weltkrieg und die Jahre davor, also die NS-Zeit. Es ist gewiss kein Zufall, dass dieser Ansatz in Deutschland entstanden ist, denn der ZFD ist ein Ergebnis der Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit, insbesondere mit dem Terror, den Kriegsverbrechen und den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Deutschland zu verantworten hat.“

Sie haben in Ruanda, in Bosnien gearbeitet und sind jetzt in Jordanien. Würden Sie sagen, es gibt übertragbare Erkenntnisse oder ist es immer ein Neuanfang, wenn man in ein anderes Land geht?

„Je länger ich als Friedensfachkraft tätig bin, desto klarer wird mir, wie bedeutend bestimmte Lebenskompetenzen sind, allen voran das, was in Stellenausschreibungen mit dem Begriff ‚Ambiguitätstoleranz‘ umrissen wird. Auch wenn der Begriff in der deutschen Sprache ein Wortungetüm ist, bezeichnet er für mich auf treffende Weise die Fähigkeit, mit Unbekanntem und Ungewissem umzugehen und das Ungewöhnliche zu respektieren. Der Begriff ist wohlgemerkt nicht neu. Mitte der sechziger Jahre haben sich Sozialpsychologen damit befasst. Sie haben Menschen, die nicht ambiguitätstolerant sind, als starr, autoritär, dogmatisch und ‚ethnically prejudiced‘ beschrieben, was man mildgestimmt mit ‚vorurteilsbeladen‘ übersetzen könnte; das von Bloggern verwendete Adjektiv ‚kryptorassistisch‘ trifft es eigentlich besser. Es versteht sich von selbst, dass diese Eigenschaften in der Friedensförderung nichts zu suchen haben und ich muss betonen, dass ich keine Kolleginnen und Kollegen kenne, auf die die erwähnten Charakteristika zutreffen. Andererseits sind Friedensfachkräfte großen politischen, institutionellen und persönlichen Dynamiken ausgesetzt, weshalb es uns besonders viel Kraft abverlangt, unsere Erfahrungen nicht zu kategorisieren, zu pauschalisieren und voreilige Schlussfolgerungen zu ziehen.
Eine weitere Schlüsselkompetenz in der Friedensarbeit steht auf einem ganz anderen Blatt. Es ist das Respektieren interner Vorschriften und der Formalitäten von Verwaltungsprozessen. Auch wenn es banal klingt, habe ich den Satz: ‚Darum kümmern wir uns später‘ einfach zu oft gehört, denn ‚später‘ war manchmal zu spät und man fand keinen Ausweg aus dem Dschungel von Haushaltsvorschriften, Prozessindikatoren und falsch ausgestellten Quittungen.“

Was ist eine herausragende Lernerfahrung, die Sie in Ihrer Arbeit gemacht haben?

„Während meiner Zeit in Ruanda haben wir grenzüberschreitende Aktivitäten durchgeführt. Eine davon hieß “Caravanamani”, eine Friedenskarawane, an der junge Künstler, Schauspieler, Akrobaten, Sportpädagogen und Aktivisten aus Uganda, Burundi, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo teilgenommen haben. Im Rahmen des Projekts sind wir auch in die burundische Hauptstadt Bujumbura gereist. Aufgrund verbindlicher Sicherheitsvorschriften musste ich fliegen, während die Karawane, bestehend aus einem Lastwagen, einem Bus und ein paar Pickups den knapp 300 km langen Landweg nahm. In Bujumbura war unser Kooperationspartner das „Centre Kamemge“, ein Jugendzentrum, das von einem charismatischen italienischen Priester namens Claudio geleitet wurde. Bis zum heutigen Tag leisten sie dort großartige Arbeit.
Eines Nachmittags, als wir uns auf eine Veranstaltung vorbereiteten, hörte ich in einiger Entfernung rumpelnde Geräusche. Ich dachte, in den Bergen rund um den Tanganyikasee würde sich ein Gewitter zusammenbrauen. Nach einer Weile bemerkte ich das Rumpeln wieder. Als ich Claudio über den Weg lief, fragte ich ihn, ob er erwarte, dass das Gewitter unseren Veranstaltungsort erreichen würde. Er warf mir einen spöttischen Blick zu und sagte: “Was Sie hören, ist Kanonenfeuer, mein Freund – unser Bürgerkrieg. Aber keine Sorge, wir sind daran gewöhnt”. Zum Glück ging alles gut aus. Auf jeden Fall spiegelt dieser Vorfall für mich wider, wie naiv und ahnungslos ich war; und er hat meine Sichtweise in Bezug auf die Bewertung der Risiken unseres Engagements grundlegend verändert.“

Der Zivile Friedensdienst ist ein Programm für Gewaltprävention und Friedensförderung in Krisen- und Konfliktregionen. Er setzt sich für eine Welt ein, in der Konflikte ohne Gewalt geregelt werden. Neun deutsche Friedens- und Entwicklungsorganisationen führen den ZFD gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen durch.

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