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Eine Aufgabe für Politik und Gesellschaft

De-Stigmatisierung, holistische Unterstützung und Aufarbeitung von sexualisierter Kriegsgewalt
Gender
Transitional Justice (TJ)
Trauma
Zaur Ibrahimov | Unsplash

Am 25.11.2019, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, luden FriEnt und medica mondiale e.V. zu einem Hintergrundgespräch zu Vergangenheitsarbeit nach sexualisierter Kriegsgewalt ein. Frauenrechtsverteidigerinnen aus Bosnien und Herzegowina sowie Kosovo diskutierten mit politischen Entscheidungsträger*innen und Expert*innen über ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Überlebenden sexueller Kriegsgewalt.

Dr. Julia Lehmann (BMZ Referat Menschrechte, Gleichberechtigung, Inklusion) und Hady Riad (BMZ Referat Frieden und Sicherheit; Katastrophenrisikomanagement) wiesen auf die im September 2019 veröffentlichte ressortgemeinsame deutsche Strategie zur Unterstützung von Vergangenheitsarbeit und Versöhnung hin, in der die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit und die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt als wichtige Handlungsfelder verankert sind.

Während des Krieges in Bosnien und Herzegowina von 1992 bis 1995 wurden bis zu 50.000 Frauen und Mädchen vergewaltigt, und auch während des Kosovo-Kriegs (1998/1999) fielen schätzungsweise 20.000 Kinder, Frauen und Männer systematischer, sexualisierter Gewalt zum Opfer. Nach jahrelanger Mobilisierung und politischem Druck von Frauenrechtsorganisationen wurde 2006 in Bosnien und Herzegowina und 2018 auch im Kosovo ein Gesetz erlassen, nachdem Überlebende sexueller Gewalt als „zivile Opfer des Krieges“ anerkannt wurden und durch diesen Status eine monatliche Rente erhalten. Im Rahmen von Vergangenheitsarbeit sollen Überlebende so eine Anerkennung des erlebten Unrechts erfahren. Auch wenn dies bereits ein großer und hart erkämpfter Fortschritt ist, so wird die Unterstützung von Überlebenden sexualisierter Gewalt immer noch durch institutionelle Hürden und gesellschaftliche Stigmatisierungen erschwert, wie die drei eingeladenen Frauenrechtlerinnen schilderten.

So berichtete Sabiha Husić, Direktorin von Medica Zenica in Bosnien und Herzegowina, wie aus der anfänglichen „Akut-Hilfe“ für Überlebende sexualisierter Gewalt bald eine ganzheitliche Unterstützung wurde, die professionelle psychosoziale Arbeit, rechtliche Beratung, medizinische Versorgung, die Bereitstellung von Verpflegung und Unterkunft sowie die Förderung von Einkommen schaffenden Maßnahmen einschließt. Auch ist die Einbeziehung der „nächsten Generation“ in die Aufarbeitung essentiell, um der transgenerationalen Übertragung von Trauma vorzubeugen – deshalb wird eine entsprechende Beratung auch für andere Familienangehörige angeboten. Die Prävention von transgenerationaler Traumatisierung fördert dabei den konstruktiven Umgang mit dem erlebten Unrecht auf gesamtgesellschaftlicher Ebene – und wirkt damit in hohem Maße friedensbildend. Darüber hinaus setzt sich Medica Zenica auf gesamtgesellschaftlicher Ebene für die Rechte und Unterstützung von Überlebenden in Bosnien und Herzegowina ein. So kämpfte Medica Zenica mit 20 weiteren NGOs und mit der Unterstützung von weiblichen Parlamentsabgeordneten darum, dass Überlebende von sexualisierter Gewalt den „Status des zivilen Kriegsopfers“ beantragen können. Dieser Status, so war die Hoffnung, sollte den Überlebenden die soziale Anerkennung ihrer Unrechtserfahrungen symbolisieren und eine finanzielle Unterstützung (ungefähr 275-300 Euro) darstellen.

Doch leider sehen sich die Überlebenden erheblichen Schwierigkeiten bei den administrativen Abläufen im Rahmen der Antragstellung ausgesetzt: das Verfahren ist langwierig, intransparent und kompliziert und wirkt in vielen Fällen re-traumatisierend. Auch treffen die Überlebenden auf überwiegend negative Reaktionen beim Erhalt des Status und der Inanspruchnahme der Rente, wie Mirlinda Sada, Direktorin von Medica Gjakova, Kosovo, erzählt. Viele bevorzugen ihre Erlebnisse zu verschweigen, statt sich Stigmatisierung und Ausgrenzung im familiären und gesellschaftlichen Umfeld auszusetzen.

Auch Dr. Feride Rushiti, Direktorin des Kosova Rehabilitation Centre for Torture Victims, beschreibt, dass sich männliche Kriegsveteranen oft als Kriegshelden verstehen und auch so von ihrem Umfeld gesehen werden. Vom Krieg betroffene Frauen nehmen diesen Status jedoch nicht als Ausdruck sozialer Anerkennung wahr und werden von ihrem Umfeld nicht so gesehen. Vielmehr haben Folter und sexualisierte Gewalt während des Krieges die bereits existierende Gender-Ungerechtigkeit noch weiter vorangetrieben. Ihre Advocacy-Arbeit bezieht sich daher weiterhin einerseits auf die direkte Unterstützung von Überlebenden und ihren Partizipationsmöglichkeiten, etwa wenn es um die Gründung eigener Frauenrechtsorganisationen geht. Andererseits arbeitet das Centre auch auf institutioneller Ebene dafür, dass es zu einer Anerkennung von Überlebenden kommt und zu Gerichtsurteilen, die die Täter zur Verantwortung ziehen.

In der folgenden offenen Diskussion wurden Erfahrungen aus anderen regionalen Kontexten wie der Ukraine und Irak geteilt und auf Kontinuitäten von Kriegsgewalt und häuslicher Gewalt gegen Frauen hingewiesen. Mit Blick auf die deutsche Strategie zu Vergangenheitsarbeit und Versöhnung und der expliziten Unterstützung von Überlebenden sexueller Gewalt wurde festgehalten, dass die (finanzielle) Unterstützung von Seiten der deutschen Regierung wichtig ist, um Frauenrechtsorganisation weiterhin in ihrer vielfältigen Arbeit gegen gesellschaftliche Stigmatisierung und für die Belange der Überlebenden zu unterstützen und dazu beizutragen, dass mehr Frauen den Status als „zivile Kriegsopfer“ beantragen und wirtschaftlich und politisch gestärkt werden.

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