Der dritte Teil einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe von FriEnt, der Berghof Foundation und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik stellt die Machtfrage: Kann eine Politik der integrierten Sicherheit feministisch sein? Oder scheitern die Ambitionen für Rechte, Ressourcen und Repräsentanz an verschlossenen Türen?
Passen die Prinzipien und Ziele einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik und das Leitbild der integrierten Sicherheit tatsächlich so harmonisch zusammen, wie es die Nationale Sicherheitsstrategie beschreibt? In der Strategie werden die Ziele, Werte und Interessen für die deutsche Sicherheitspolitik ausdrücklich mit einer inklusiven und aktiven Beteiligung von Frauen und benachteiligten Gruppen verknüpft. Die feministische Außen- und Entwicklungspolitik ist als Anspruch und Inhalt in der Strategie verankert; genauso wie ein umfassender Sicherheitsbegriff, der auch diskriminierende Machtstrukturen überwinden soll (Weltweiter Einsatz für Menschenrechte, Nationale Sicherheitsstrategie, S. 52). Ob sich dieser Anspruch so auch in der politischen Praxis wiederfindet und welche Anforderungen an eine Politik der integrierten Sicherheit damit verbunden sind, war das Thema eines Workshops mit Teilnehmer*innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) am 24. Oktober 2023.
Die Veranstaltung (nach Chatham House Rule) war zugleich der Abschluss einer gemeinsamen Dialogreihe von FriEnt, der Berghof Foundation und der BAKS zum Thema integrierte Sicherheit. In insgesamt drei Workshops beschäftigten sich die Teilnehmer*innen aus verschiedenen Blickwinkeln damit, was integrierte Sicherheit für das Zusammenwirken von Politikfeldern und Handlungsebenen bedeuten kann. Ein wichtiger Aspekt waren dabei konkrete Veränderungen für die Praxis. Beim dritten Teil der Reihe stand die Frage im Mittelpunkt, wie sich die „klassische“ Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch die Verknüpfung mit einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik verändert. Wie muss die nationale Sicherheitsstrategie umgesetzt werden, damit Rechte, Ressourcen und Repräsentanz für Frauen und marginalisierte Gruppen gestärkt und diskriminierende Machtstrukturen überwunden werden? Wie inklusiv und divers lässt sich integrierte Sicherheit tatsächlich gestalten? Welche Hindernisse und Widerstände sind damit verbunden?
Feminismus als politischer Türöffner oder als Störfaktor?
Aus der Panel-Diskussion zum Einstieg konnte zunächst der Eindruck entstehen, dass sich feministische Ansätze und Prinzipien passgenau mit einer Politik der integrierten Sicherheit verbinden lassen. Ein gemeinsamer Referenzrahmen dafür ist das Konzept der menschlichen Sicherheit, das Schutz und Teilhabe für alle Teile der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellt – auch und besonders für Menschen, die sonst ausgegrenzt und benachteiligt werden. Ein wichtiges Element der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik ist es dabei, Frauen und marginalisierte Gruppen nicht als Opfer und Betroffene zu betrachten, sondern als Akteur*innen für gesellschaftlichen und politischen Wandel. Erfahrungen aus der Friedens- und Entwicklungspolitik zeigen, dass Transformationsprozesse nachhaltiger wirken und Gesellschaften resilienter sind, wenn sie inklusiv gestaltet werden und Frauen aktiv daran beteiligt sind. Zusätzlich biete die internationale Zusammenarbeit zu gemeinsamen Zielen in der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik Zugangswege, auch in anderen Politikfeldern zu kooperieren, die ebenfalls sicherheitspolitische Bedeutung entfalten – so wie in der Feminist Foreign Policy+ Group, einer Staatengruppe unter dem Dach der UN mit 19 Mitgliedern aus unterschiedlichen Weltregionen.
Thematisiert wurden aber auch politische Widerstände und strukturelle Blockaden für eine feministische Politik, und zwar auf allen Ebenen. Eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik hat immer ein transformatives Element und zielt zudem darauf ab, diskriminierende Strukturen zu überwinden: „Es geht nicht nur um Frauen und Mädchen, sondern um Veränderungen von Macht“, so ein Beitrag aus der Diskussion. Daraus entstünden zwangsläufig Gewinner und Verlierer und ein entsprechendes Konfliktpotenzial. Hinzu kommen strukturelle Blockaden für eine gleichberechtige Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene. Die globale Friedens- und Sicherheitsarchitektur spiegelt politische Verhältnisse der Vergangenheit und lässt kaum Raum, um neue Akteur*innen zu beteiligen. Auch die Entscheidungs- und Kooperationsstrukturen in der deutschen Politik haben sich mit dem Bekenntnis zu einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik und dem Zielbild der integrierten Sicherheit nicht verändert. Damit enden „Repräsentanz und Ressourcen“ aktuell oft in einer Sackgasse.
Bei nächster Gelegenheit wenden?
Damit aus der Sackgasse kein Rückschritt wird, beschäftigte sich ein Teil der Diskussion mit den Risiken für einen politischen Kurswechsel durch Widerstände gegen eine feministische Politik. Ein oft zitiertes Beispiel war dabei die schwedische Regierungspolitik mit ihrer Abkehr von einer feministischen Außenpolitik. Die Teilnehmer*innen waren sich darin einig, dass politische Prozesse grundsätzlich auch umkehrbar sind und Transformationsprozesse immer mit gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen verbunden sind. Das Beispiel Schwedens zeige aber auch, dass sich feministische Ansätze, die schon etabliert und verankert sind, nicht deklaratorisch auflösen lassen, sondern als Prinzipien für politisches Handeln und Entscheiden bestehen bleiben. Eine zentrale Aufgabe für die deutsche Politik müsse deshalb darin liegen, die Ziele und Inhalte einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik konsequent zu vermitteln und für eine Politik der integrierten Sicherheit auch Akteur*innen der Zivilgesellschaft einzubeziehen.
Ob und wie eine inklusive und feministische Sicherheitspolitik gelingen kann und welche Anforderungen und Hindernisse damit verbunden sind, stand im Zentrum einer vertieften Diskussion in drei Arbeitsgruppen. Das Spektrum reichte dabei von möglichen Zielkonflikten mit weiteren Politikfeldern über den Umgang mit Putschisten und nicht legitimierten Machthabern bis zu der Frage, wie pragmatische Lösungen aussehen können, die sich nicht auf Symbolpolitik beschränken, sondern auch Transformation befördern. Damit verbunden sind häufig politische Dilemmata: Der Wertekompass einer Politik der menschlichen Sicherheit steht dann nicht legitimierten Regierungen oder Gewaltakteuren gegenüber. Wo liegen in solchen Fällen die Grenzen der Kooperation, und wie kann die Bevölkerung trotzdem unterstützt werden? Ein Beispiel dafür sind die Abwägungsprozesse über die Gestaltung der Zusammenarbeit nach dem Putsch im Niger. Verantwortliches und glaubwürdiges Politikhandeln im Sinne einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik hängt entscheidend davon ab, wie diese Positionierung gefunden und vermittelt wird. Weitere Herausforderungen liegen darin, ob es gelingt, in der nationalen und internationalen Zusammenarbeit tatsächlich Veränderungen der Macht- und Entscheidungsstrukturen anzustoßen. Das gilt für ein aktives und inklusives Politikhandeln von Frauen und marginalisierte Gruppen genauso wie für die gerechte Verteilung von Ressourcen sowie für faire Partnerschaften in der globalen Zusammenarbeit.
Integrierte Sicherheit als Politikziel reicht nicht aus
In der Zusammenschau mit den Beiträgen aus den beiden vorherigen Workshops bot die Abschlussdiskussion auch Gelegenheit für eine erste Bilanz. Ein wichtiger Mehrwert aus der Kooperation war dabei der Austausch von Akteur*innen aus unterschiedlichen Politikfeldern, mit vielfältigen Perspektiven und Erfahrungen. Verbindende Themen in allen Veranstaltungen waren das Zusammenspiel von Politik und Praxis, die Verknüpfung unterschiedlicher Instrumente, Akteur*innen und Politikfelder. Ein weiteres verbindendes Element waren Veränderungen in der Gestaltung von Kooperationen und Partnerschaften in der nationalen, multilateralen und internationalen Zusammenarbeit – auch mit lokalen Akteur*innen und der Zivilgesellschaft. In einer Reflexion zu den Ergebnissen aus der Diskussion und zu den Anforderungen an eine Politik der integrierten Sicherheit wurden dazu einige zentrale Punkte deutlich. Politischer Wandel erfordert nicht nur neue Perspektiven für die Verknüpfung von Ansätzen und Handlungsfeldern oder eine bessere Zusammenarbeit verschiedener Akteur*innen. Notwendig sind auch strukturelle Veränderungen, um den Zugang zu Entscheidungs- und Abstimmungsprozessen – besonders in der Sicherheitspolitik – inklusiver zu gestalten. Das gilt für die deutsche Politik genauso wie für die Zusammenarbeit in und mit Partnerländern und auf internationaler Ebene.
Sicherheit ist dabei kein isoliertes Politikziel, sondern immer auch Grundlage für Frieden und Entwicklung. Menschliche Sicherheit bedeutet Schutz vor Gewalt und Vertreibung, vor Diskriminierung, vor Hunger und Armut. Sie bedeutet aber auch Sicherheit für aktive und gleichberechtigte Teilhabe an Politik und Gesellschaft – für eine gerechtere Verteilung von Ressourcen, für den Zugang zu Macht und für politische Entscheidungen. Dieses Sicherheitsverständnis spiegelt sich auch in den Zielen und Prinzipien einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik. Eine Politik der integrierten Sicherheit mit feministischer Perspektive zielt deshalb auch auf die Überwindung von Ungleichheit und Ungerechtigkeit zwischen den Staaten des Globalen Südens und des Globalen Nordens. Ihre Umsetzung darf nicht dazu führen, Ungleichheiten und ungerechte Machtstrukturen fortzusetzen oder zu bestärken. Die nationale Sicherheitsstrategie setzt dafür einen politischen Rahmen, der sich jetzt für die praktische Umsetzung bewähren muss.