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Europa wird heiß – was bedeutet das für Frieden?

NiKE zeigt Chancen einer deutschen Vorreiterrolle
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Peace and Security
NOAA | Unsplash

Der kürzlich veröffentlichte Bericht des EU-Klimadienstes Copernicus belegt, dass Europa sich am schnellsten erwärmt. Was das für die Sicherheit bedeutet, wurde in der ersten nationalen, interdisziplinären Klimarisiko-Einschätzung (NiKE) eindrücklich erfasst. Sie wurde zum Auftakt der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar vorgestellt. Beide Berichte fordern zum Handeln auf: Sie sollten der zukünftigen Bundesregierung Rückenwind geben, gerade auch mit Blick auf eine deutsche Vorreiterrolle. Doch aus friedenspolitischer Perspektive gibt es nicht nur Anknüpfungspunkte in der NiKE, sondern auch Leerstellen.

Zentrale Einsichten aus der NiKE

„Die Klimakrise ist real. Sie destabilisiert, verschärft Konflikte um Land, Wasser und Nahrung, schafft dadurch neue Brandherde“, bestätigt das Auswärtige Amt im Vorwort der NiKE. An gleicher Stelle ist für BND-Präsident Bruno Kahl „der Klimawandel ein zunehmend wichtiger Faktor, der ohnehin schon bestehende Herausforderungen für Gesellschaften auf der ganzen Welt weiter verschärft. Wenn wir uns ein realistisches Bild von Sicherheitsrisiken für die Bundesrepublik Deutschland machen wollen, müssen wir die vielfältigen und weitreichenden Auswirkungen des Klimawandels berücksichtigen und auch die Klimapolitik weltweit mit einbeziehen.“

Die Konsequenzen sind eindeutig: Deutschland wird sich auch zukünftig im eigenen Interesse und aus sicherheitspolitischen Notwendigkeiten mit Klimaschutz in Verbindung mit internationaler Zusammenarbeit und entwicklungspolitischen Friedens- und Sicherheitsaspekten befassen. Investitionen sind angesagt.

Klimaschutz wird hier als Sicherheitspolitik verstanden, aber eben nicht ausschließlich als staatliche und militärische Sicherheit, sondern mit einem starken Fokus auch auf Menschliche Sicherheit. Bei dieser steht der Schutz des Individuums, insbesondere seine Freiheit von Furcht und Not im Mittelpunkt – gerade im Angesicht der vielfältigen, vor allem nichtmilitärischen Sicherheitsbedrohungen der heutigen Zeit. Die Auswirkungen der Klimakrise haben bereits weltweit zu Tausenden Toten geführt. Aber auch in Deutschland hat es schon Opfer sowohl durch Hochwasser als auch durch extreme Hitze gegeben. Zunehmende Naturkatastrophen wie Wirbelstürme, Überflutungen, Erwärmung des Golfstroms, Gletscherschmelze etc. werden in den kommenden Jahren ganze Regionen, auch in Europa, für Menschen unbewohnbar machen – wenn nicht vorgesorgt und angepasst wird.

Die Autor*innen der NiKE zeichnen ein systemisches Bild, indem sie auf die Konsequenzen gewaltvoller Auseinandersetzungen und Konflikte – lokal wie global – verweisen. So werden die Verbindungen deutlich: von Klimavulnerabilität zu staatlicher und gesellschaftlicher Fragilität sowie Aspekten guter Regierungsführung. Unter Bedingungen fragiler Staatlichkeit und geschwächter staatlicher Legitimität sind (klimabedingte) Ungerechtigkeiten und deren Folgen eine besondere Herausforderung. Demokratie- und Rechtsstaatsförderung, die Förderung inklusiver Institutionen sowie Korruptionsbekämpfung und der Abbau von Ungleichheit bleiben daher auch für den Umgang mit Klimarisiken relevant. Dies führt zu den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Agenda 2030, insbesondere dem Friedensziel SDG 16. Somit erläutert die NiKE eindrucksvoll, warum die notwendige stärkere Verzahnung von nationaler und interessengeleiteter Politik im Klima- und Sicherheitsbereich nur erfolgreich sein kann, wenn sie mit internationaler Zusammenarbeit verschränkt wird.

Internationale Zusammenarbeit und auch Entwicklungszusammenarbeit waren und sind im besten Sinn eine Politik auch im eigenen Interesse. Denn sie können helfen, die Folgen von globalen Krisen gemeinsam abzumildern und unter bestimmten Voraussetzungen auch friedensfördernd zu wirken – und zunehmende Gewalt zu reduzieren. „Wer Sicherheit denkt, muss Klima mitdenken“, heißt es in der NiKE. Dabei muss auch eine Bewältigung der damit verbundenen Konflikte mitgedacht werden, um einem nachhaltigen, grundgesetzlich verankerten Frieden zu dienen.

Leerstellen in der NiKE – Ergänzungen aus der Friedensperspektive

Wie es der Name schon verdeutlicht, gehen die Autor*innen der NiKE von einer Risikologik aus. Und gemäß ihrem Auftrag aus der Nationalen Sicherheitsstrategie fokussieren sie sich auf deutsche Interessen. Die Ursachenlogik der entwicklungspolitischen Friedensförderung kann hier eine wichtige Ergänzung bieten: Welche Ursachen haben zu gewaltförmigen Konflikten geführt und Klimarisiken verstärkt? Welche müssen daher zivil bearbeitet werden, um zu mehr Frieden, Entwicklung und Sicherheit für alle zu führen?  Denn es ist seit Jahrzehnten nachgewiesen: Die Welt ist voneinander abhängig („interdependent“) und die Autor*innen der NiKE haben dies anhand zahlreicher Beispiele bestätigt. „Locally led processeswerden in der Klimadebatte gefordert, weil nur damit erfolgreiche Politiken und Projekte entwickelt werden können – die nachhaltig und für die lokal Betroffenen umsetzbar sind. Das Gleiche wäre auch für den Sicherheitsdiskurs zielführend.

Soziologische Analysen, aber auch indigenes Wissen und lokale Praktiken tauchen aufgrund der vornehmlich naturwissenschaftlichen Herangehensweise nicht in der NiKE auf. Das trübt den Blick auf einen möglichen konstruktiven Umgang mit Klimafolgen. Sozialwissenschaftliche Ansätze zum Zeitalter des Anthropozäns wären bereichernd. Denn es geht darum, wie der Mensch vor dem Hintergrund der planetarischen Grenzen seiner Verantwortung gerecht werden kann.

Für das Verständnis des Klima- und Sicherheitsnexus sei dringend hinzugefügt – gerade, weil in der NiKE dies nicht explizit benannt wird –, dass Gesellschaften nie homogen sind. Klimafolgen wirken sich auf gesellschaftliche, ethnische, religiöse, kulturelle Gruppen, Generationen und Geschlechter immer unterschiedlich aus. Wer daher Sicherheit und Frieden fördern will, wird diese Unterschiede immer in den Blick nehmen. So sind etwa marginalisierte Gruppen stärker von schlechter und unzureichender Energieversorgung betroffen als privilegierte Gruppen. Lokale, von der Klimakrise in besonderem Maß Betroffene (sowohl in Deutschland wie in anderen Kontexten), verfügen über einen unersetzlichen Wissensschatz. Denn sie kennen den lokalen Kontext, die Umweltveränderungen und die Konfliktdynamiken genau. Dieses Wissen ist unersetzlich: sowohl für Klimaschutz, Klimaanpassung sowie für den Umgang mit klimabedingten Schäden und Verlusten als auch für die Bewältigung aufkommender Konflikte – und damit für Sicherheit. Nur durch die direkte Einbeziehung dieser unterschiedlichen Gruppen kann es lokal angemessene und nachhaltige Lösungen zur Bewältigung der Klimarisiken geben („local ownership“).

Auch wenn in der NiKE bisher nicht aufgeführt, so spielen Klima-, Friedens- sowie Frauenrechts- und Menschenrechtsaktivist*innen eine zentrale Rolle für eine Reduzierung der Klimarisiken: Sie machen die Klimakrise sichtbar, formulieren politische Forderungen zu Klimaschutz und -gerechtigkeit sowie zu Menschlicher Sicherheit und nachhaltigem, gerechtem Frieden. Sie decken Menschenrechtsverletzungen durch lokale oder internationale Akteure auf. Gewaltfreie Proteste und mitunter auch ziviler Ungehorsam sind dabei eine Ausdrucksform, die demokratischen Prinzipien entspricht. Sie leisten einen wichtigen Beitrag, um Konflikte konstruktiv zu bearbeiten und gegebenenfalls in einem weiteren Schritt schlichten zu können.

Die Autor*innen der NiKE erläutern das Risiko einer zunehmenden Radikalisierung infolge der fortschreitenden Klimakrise. Wenig hilfreich wäre hierbei eine sehr verkürzte Sichtweise auf junge Menschen als Terroristinnen und Extremist*innen. Staaten, in denen ziviler Ungehorsam kriminalisiert und zu Unrecht mit Radikalisierung gleichgesetzt wird, leisten so selbst einen Beitrag zu weiterer Radikalisierung. Stattdessen ist es zielführend, die Ursachen für die zunehmende Schärfe der Debatte genau zu analysieren. So können Mechanismen entwickelt und gefördert werden, um etwa Desinformation und extremistischen Narrativen entgegenzuwirken. Zudem braucht es entwicklungsbezogene Maßnahmen, die zum einen Polarisierungen entgegenwirken und zum anderen neue Einkommensmöglichkeiten und Lebensperspektiven schaffen. So können Ungleichheit abgebaut und friedliche Gesellschaften gefördert werden.

Wie weiter?

Die regelbasierte Weltordnung wird zur Zeit von einigen Staaten in Frage gestellt. Für eine Lösung der globalen Herausforderungen ist jedoch eine globale und sektorübergreifende Zusammenarbeit basierend auf menschenrechtlichen Regeln und Standards zwingend erforderlich. Eine nationale interdisziplinäre Klimarisikoeinschätzung ist dafür ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es ist sinnvoll und Erfolg versprechend, wenn Außen-, Klima-, Sicherheits- sowie Umwelt-, Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Entwicklungspolitik eine gemeinsame Strategie verfolgen. Denn eine ressortübergreifende Zusammenarbeit ist wichtig, um die wesentlichen Ursachen für Klima- und Gewaltkonflikte zu adressieren. Dadurch können Menschliche Sicherheit und nachhaltiger Frieden in den Partnerländern wie auch in Deutschland erhalten und geschaffen werden.

Wenn die Zusagen des Pariser Klimaabkommens wie auch die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 ernst genommen und eingehalten werden, dient das eindeutig dem Interesse Deutschlands und fördert den Vertrauensaufbau zwischen Staat und Gesellschaft. Dies trägt zu friedlichen Gesellschaften (SDG 16) und dem Abbau von Ungleichheit (SDG 10) bei. Wie in der NiKE betont wird: Eine deutsche Vorreiterrolle birgt viele Chancen für das Land wie für die Welt.

Mit vorrangig militärischen und wirtschaftspolitischen Maßnahmen wird Deutschland die Klimasicherheitsrisiken nicht bewältigen können.  Die NiKE, die Klimaaußenpolitikstrategie der Bundesregierung von 2023 und die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ von 2017 sind wichtige Grundlagen für die Politik der neuen Bundesregierung – auch für eine mögliche neue Ausgestaltung der Nationalen Sicherheitsstrategie.

Contact
Caroline Kruckow
Caroline Kruckow

Representative of 'Brot für die Welt' at FriEnt

caroline.kruckow@frient.de

Christina Bermann-Harms
Christina Bermann-Harms

Representative of the Consortium Civil Peace Service (CPS) at FriEnt

christina.bermann-harms@frient.de

References

Nationale interdisziplinäre Klimarisiko-Einschätzung (NiKE)

Metis Institute für Strategie und Vorausschau der Bundeswehruniversität München, adelphi, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Bundesnachrichtendienst (BND) beauftragt durch das Auswärtige Amt sowie das Bundesministerium der Verteidigung, 12. Februar 2025

European State of the Climate Report 2024

EU-Klimadienst Copernicus, 15. April 2025

Klimaaußenpolitikstrategie

Auswärtiges Amt, Dezember 2023

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