Seit Jahren wird Nigeria immer wieder von blutigen Zusammenstößen zwischen Pastoralist*innen und sesshaften bäuerlichen Gemeinschaften, den so genannten „Farmer-Herder“- Konflikten, erschüttert. Die von Misereor finanzierte Feldstudien in in 2016-17, die nun in der Broschüre “Towards a Peaceful Coexsistence between Farmers and Herders in Nigeria” zusammengefasst wurde, hatten das Ziel, die konkreten Konflikte Nigerias in 13 Zonen genauer zu untersuchen.
Historische Entwicklung der „Farmer-Herder“-Konflikte
Die pastorale Tierhaltung ist eine für semi-aride Klimazonen gut angepasste Produktions- und Lebensweise, weil sie die natürlichen Schwankungen der Futterverfügbarkeit in Folge hoher Klimavariabilität über die Mobilität und das Management der Hirt*innen ausgleicht bzw. optimiert. Sie wird in den Sahel- und den Küstenländern Westafrikas praktiziert. Die von der Tsetsefliege und damit von der Schlafkrankheit betroffenen südlicheren Landesteile Nigerias bildeten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine räumliche Barriere für Vorstöße pastoraler Gruppen aus dem Norden, da die meisten Wiederkäuer gegen diese Krankheit schutzlos sind. Das starke Bevölkerungswachstum im nigerianischen „Middle Belt“ und die damit verbundene Zerstörung des natürlichen Habitats der Tsetsefliege schuf weiträumige neue Weideflächen. Auch der infrastrukturelle Ausbau von Straßen und der Bau von Brücken über die großen Flüsse erleichterte es pastoralen Gruppen, Richtung Süden zu migrieren. Die meisten dieser zugewanderten Gruppen siedelten sich in ihren Zuzugszonen an. Sie betreiben als sogenannte „Agro-Pastoralisten“ Ackerbau und führen die mobile Tierhaltung parallel weiter. Während in den nördlichen Landesteilen Nigerias Kontrakte zum Austausch von Dung gegen Hirsestroh bzw. Milch gegen Getreide zwischen Hirt*innen und bäuerlichen Gemeinschaften lange Tradition haben, blieben diese Kooperationsformen den Sesshaften im Süden bis heute fremd.
Die nigerianische Politik missachtet die Rechte der Pastoralist*innen
Die steigende Bevölkerungsdichte und die Konkurrenz um Land und natürliche Ressourcen sind die Hauptkonfliktursachen in Nigeria. Die nigerianische Politik hat es bisher versäumt, etwa durch Instrumente der Landnutzungsplanung oder ähnliche ordnungspolitische Entscheidungen, Konflikte um Landnutzung und Konkurrenz um natürliche Ressourcen einzudämmen. Im Gegenteil hat die Missachtung der gewohnheitsrechtlichen Nutzung von Wasser oder Weideflächen zu Gunsten des Ackerbaus die Konflikte eher geschürt. Beispielhaft seien hier zum einen ab den 1980er Jahren die Politik der Inwertsetzung von Flussniederungen durch den Ackerbau genannt (sog. Fadama-Progamme), zum anderen stellte man die finanzielle Förderung der Weidezonen (sog. Grazing Reserves) für Pastoralist*innen ein und gab sie damit dem Verfall preis. Zusammengenommen verloren pastorale Gruppen überall in Nigeria strategisch wichtige Rückzugszonen und ihre verbleibenden Ressourcen gerieten zunehmend unter Druck. Doch auch die von einigen Bundesstaaten seit 2016 verabschiedeten Gesetze, den Hirt*innen jegliche Mobilität zu verbieten und ihnen damit ihre Weiderechte zu entziehen, hat die Konflikte weiter angeheizt. Hassbeiträge in den sozialen Medien befeuern die Stimmung zusätzlich.
Aktuelle Konflikttreiber
In den letzten zwei Jahrzehnten haben eine Reihe von Faktoren die „Farmer-Herder“-Konflikte verschärft. Dazu zählen die zunehmende Unsicherheit im Nordosten Nigerias in Folge der terroristischen Überfälle durch Boko Haram und die damit verbundene Flucht und Vertreibung weiterer pastoraler Gruppen in den Süden. Der Krieg gegen Boko Haram trägt zur Verbreitung von Kleinwaffen innerhalb Nigerias bei und macht damit auch die „Farmer-Herder“-Konflikte blutiger. Zudem scheint der weitverbreitete Drogenkonsum unter jungen Erwachsenen die Hemmschwelle zur Gewalttätigkeit zu senken.
Quo vadis Nigeria?
Die Feldstudien zeigen: es gibt auch positive Beispiele. In der Stadt Shendam haben lokale Autoritäten über ein Netzwerk strategischer Akteure ein Frühwarnmechanismus zur Prävention aufgebaut, um eine Eskalation von Konflikten zwischen bäuerlichen Gemeinschaften und Hirt*innen zu vermeiden und deren friedliche Koexistenz zu ermöglichen. Das Beispiel zeigt, dass vielfältige Lösungen möglich sind, wenn nur der politische Wille da ist.