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Regierungswechsel in Georgien und Armenien

FriEnt-Rundtisch Südkaukasus fragt nach neuen Chancen für Frieden in der Region
FriEnt
David Mark I Pixabay

Nach der friedlichen Revolution in Armenien 2018 und Regierungswechseln auch in Georgien, stellen sich Fragen nach den Chancen für Frieden in der Region wieder neu. Wie ist die aktuelle innen- und außenpolitische Lage in den Ländern einzuschätzen? Wie gestalten sich die Konfliktlagen um Abchasien und Südossetien sowie Karabach und wie verhalten sich die neuen Regierungen dazu? Welche Friedensbemühungen sind erkennbar und wo gibt es Anknüpfungspunkte, um diese zu unterstützen?

„Das öffentliche Vertrauen in politische Parteien, das Parlament und die politische Führung ist sehr niedrig“, dies zeigt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Situation in Georgien. Auch nach dem Sieg der ehemaligen Außenministerin Salome Surabishvili bei den Präsidentschaftswahlen im November 2018 sind die innenpolitischen Zerwürfnisse in der Parteienlandschaft massiv und die Rolle des Oligarchen Ivanishvili im Hintergrund bleibt unklar – also keine sehr gute Ausgangslage für die Förderung von Frieden und demokratischen Strukturen. Aber Strategien und auch Programme wie etwa „A Step to a better Future“ der georgischen Regierung, die darauf ausgerichtet sind, die soziale, ökonomische und humanitäre Situation in den Konfliktregionen Abchasien und Südossetien zu verbessern und ‚people-to-people contacts‘ zu fördern, böten Ansätze und Chancen für Friedensförderung, betonte eine Expertin aus Georgien.

Im Gegensatz zur weit verbreiteten Enttäuschung und fehlendem Vertrauen der georgischen Bevölkerung in ihre Regierung und deren Handeln, sieht es im Nachbarland aktuell ganz anders aus: In Armenien hält sich die positive Aufbruchsstimmung, nachdem die „samtene Revolution“ im Frühjahr und Parlamentswahlen im Herbst 2018 mit Nicole Pashinian einen neuen Hoffnungsträger in das Amt des Regierungschefs gebracht haben. Die Regierung genießt derzeit ein hohes Vertrauen der Bevölkerung, allerdings verbunden mit hohen Erwartungen an spürbare Verbesserungen in allen Lebensbereichen. Die neue Elite bleibe den Menschen nah und kommuniziere sehr viel besser, so eine Rundtisch-Teilnehmende aus Armenien. Sozialwissenschaftler*innen, Journalist*innen und zivilgesellschaftliche Vertreter*innen seien jetzt im Parlament und verträten dort nicht mehr nur Eigen- und Partikularinteressen, sondern kümmerten sich um die Belange der Bevölkerung.

Um jedoch Chancen und Risiken für Friedensförderung zu erkennen, müssen die Region als Ganzes sowie Einflüsse globaler Player und Regionalmächte mit Interessen in der Region angeschaut werden. Aufgrund der Lage des Südkaukasus als Nachbarschaftsregion zu Europa, Asien, Russland und Iran, und als Energiekorridor für Erdöl und Gas aus Russland und Zentralasien sowie aserbaidschanischem Erdöl in den Westen, treffen geostrategische Interessen der USA, Russlands und der EU und zunehmend auch Chinas aufeinander, die einen Einfluss auf die regionalen Konfliktherde haben.

Die einzelnen Südkaukasus-Länder orientieren sich außenpolitisch in unterschiedliche Richtungen, wodurch auch die Haltung zu den bisher ungelösten Territorialkonflikten beeinflusst wird: Georgien richtet sich weiterhin mit dem EU-Assoziierungs- und damit verbundenen Freihandelsabkommen (DCFTA) und ihrem Werben um eine NATO-Mitgliedschaft nach Westen aus. Das Verhältnis zu Russland bleibt angespannt und konstruktive Verhandlungen im Rahmen der Genfer Gespräche werden u.a. durch die in Aussicht gestellten russischen Pässe für die abchasische Bevölkerung noch schwieriger.

Armeniens neue Regierung hält generell den außenpolitischen Kurs der Vorgängerregierung aufrecht, u.a. die Mitgliedschaft in der Eurasischen Wirtschaftsunion. Gleichzeitig ist die neue armenische Regierung aber auch an einer Brückenbildung interessiert, so ist u.a. ein Abkommen zu einer umfassenden und verstärkten Partnerschaft (CEPA) mit der EU erfolgreich unterzeichnet worden. Eine Herausforderung sind die zunehmenden politischen Angriffe der US-Regierung und Sanktionen gegenüber dem Nachbarland Iran, denn sie lösen große Befürchtungen für die eigene Sicherheitslage aus. Andererseits kommt in den Bergkarabach-Konflikt leichte Bewegung, nachdem es verschiedene informelle und zuletzt ein formelles Treffen auf höchster Ebene in Wien gegeben hat, nach denen die Waffenruhe in den Grenzgebieten weitgehend eingehalten wurden und der Boden für weitere Verhandlungen bereitet erscheint. Dies könnte Chancen bieten, um friedenspolitische Diskurse auf allen gesellschaftlichen Ebenen und innerhalb der von den Konflikten betroffenen Bevölkerungen zu führen, Feindbilder abzubauen und Kompromisslösungen auch in den betroffenen Ländern und Konfliktregionen zu diskutieren. Allerdings bedarf es dafür einen politischen Willen sowie Unterstützung eines breiteren zivilgesellschaftlichen Engagements im Friedensbereich.

Zivilgesellschaftliches Engagement im Friedensbereich stößt aber vor allem in Hinblick auf die Arbeit in und mit den Konfliktregionen Abchasien und Südossetien wie auch Karabach an Grenzen. Die Beteiligung der Betroffenen aus den Konfliktregionen an internationalen Friedensformaten scheitert an der Statusfrage und zivilgesellschaftliche Friedensaktivitäten auf nationaler Ebene bewegen sich in einem hochpolitisierten, teilweise auch sehr nationalistisch aufgeladenen Umfeld. Ferner ist in Aserbaidschan nach den Wahlen die innenpolitische Lage für die Opposition weiterhin schwer und die größte Herausforderung der fehlende und systematisch unterdrückte Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Bereich Menschenrechte, Frieden und Konflikttransformation. Inwieweit eine im Vorfeld der Wahlen erteilte Amnestie für politische Häftlinge langfristig aufrechterhalten wird, ist unklar. Um zu nachhaltiger friedlicher Entwicklung in der Region beizutragen, brauchen lokale zivilgesellschaftliche Friedensakteure auf allen Seiten und auch für die Arbeit in ihren jeweiligen Ländern einer umfassenden, langfristigen und konfliktsensiblen Unterstützung.

Entwicklungspolitisch hat sich durch die 2001 begonnene „Kaukasus-Initiative“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) eine regionale Initiative und Kooperation über Konfliktgrenzen hinweg etabliert. Sie unterstützt die regionale Zusammenarbeit und Integration der drei südkaukasischen Staaten Aserbaidschan, Armenien und Georgien in den Bereichen nachhaltige Wirtschaftsförderung, Demokratie, Kommunalentwicklung und Rechtsstaatlichkeit sowie Umwelt und natürliche Ressourcen. Sie bietet Chancen, friedensfördernde Elemente integriert in Entwicklungsmaßnahmen weiter zu verfolgen und Kooperationen auszubauen, die ein gemeinsames Interesse zwischen den Ländern und ihren Bevölkerungen an friedlicher Konfliktbeilegung, Prävention und nachhaltiger Friedensentwicklung durch wirtschaftliche Verbindungen, gemeinsames Management von Schutzgebieten, aber auch durch gute Regierungsführung und Förderung demokratischer Prinzipien in der Verwaltung sowie rechtsstaatliche Beratung und Justizsektorreform stärken. Diese Kooperation in bestimmten Sektoren hat gezeigt, dass praktische Zusammenarbeit auch über die Konfliktgrenzen hinweg möglich ist. Eine Fortsetzung der Förderung von Dialogbereitschaft, nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung, Umweltschutz und nachhaltiger Ressourcennutzung auch mit den neuen Regierungen bietet Chancen, um aktiv zu Frieden in der Region beizutragen. Reformpotentiale und positive sozio-ökonomische Entwicklung müssen auch genutzt werden, um Radikalisierungstendenzen und Nationalismen in den Gesellschaften abzubauen und Feindbildern entgegen zu wirken, die einer friedlichen Entwicklung entgegen stehen.

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Caroline Kruckow
Caroline Kruckow

Caroline Kruckow is the FriEnt representative of 'Brot für die Welt'.

caroline.kruckow@frient.de

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