Junge Menschen sind das „fehlende Puzzlestück“ in Friedensprozessen, lautet eine der Kernbotschaften der Global Progress Study zur Resolution 2250 „Youth, Peace, Security“ (YPS), die im Herbst 2018 veröffentlicht wurde. Über 4000 junge Menschen aus 44 Ländern und 7 Regionen waren in die Erstellung der Studie und in die Erarbeitung von Empfehlungen maßgeblich involviert. Erstmalig rücken so ihre Vorstellungen zu Frieden sowie ihre Erfahrungen von Ausgrenzung und Gewalt in den Vordergrund.
Gemeinsam mit dem United Nations Populations Fund/ Peacebuilding Support Office (UNFPA/PBSO) hat FriEnt die Ergebnisse der Studie Anfang Dezember 2018 vorgestellt. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei die Frage, wie die Empfehlungen auf internationaler Ebene und in Deutschland umgesetzt werden können.
Gewalt der Exklusion – zwischen jungen Menschen und gesellschaftlichen Akteuren und Strukturen
Graeme Simpson, leitender Autor der Progress Study, hob hervor, dass mangelndes Vertrauen zwischen jungen Menschen und staatlichen Institutionen oder gesellschaftlichen Akteuren eine zentrale Herausforderung sei. Junge Menschen fühlten sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen ausgeschlossen oder marginalisiert und nähmen diese Gewalt der Exklusion als strukturelle Gewalt wahr. Gleichzeitig würden sie von staatlicher, gesellschaftlicher und ökonomischer Seite misstrauisch als potentielles Sicherheitsrisiko betrachtet, was sich dann wiederum in diskriminierenden Politiken und Handeln in allen Lebensbereichen niederschlage. Simpson spricht hier von zunehmender „policy panic“, wenn z.B. propagiert wird, dass die „youth bulge“ zu einer Zunahme von Gewalt führe, oder dass v.a. junge Migranten als potentielle gewalttätige Extremisten dargestellt werden. Für solche Vermutungen gäbe es keine hinreichenden Belege, denn in Wirklichkeit sei die überwiegende Mehrheit junger Menschen nicht gewalttätig – trotz der erfahrenen Diskriminierung und häufig erlebten Perspektivlosigkeit. Auch die den Diskurs dominierenden Genderstereotype, die junge Männer auf die Täter- und junge Frauen auf die Opferrolle festlegen, seien nicht hilfreich und würden von jungen Menschen nicht als repräsentativ empfunden.
Teilhabe ist nicht gleich Teilhabe
Stattdessen solle in die Potentiale und den Einfallsreichtum junger Menschen investiert und eine wirkliche Teilhabe ermöglicht werden. Allerdings äußern sich junge Menschen kritisch darüber, was Teilhabe bedeutet. Sie möchten nicht für politische Zwecke kooptiert werden und sich auch nicht nur durch „Jugendprojekte“ abspeisen lassen. Stattdessen wollen sie den Raum haben, Lebensbereiche, die für sie relevant sind, auf allen Ebenen mitzugestalten. So reiche es z.B. nicht aus, Jobs für junge Leute zu schaffen. Zur Teilhabe an wirtschaftlichen Prozessen gehöre es auch, dass junge Menschen wirtschafts- oder entwicklungspolitische Entscheidungen in ihren Ländern mitgestalten können, so Simpson.
Junge Menschen kontext- und bedürfnisabhängig unterstützen
Um eine umfassende gesellschaftliche und politische Beteiligung zu erreichen – in Friedensprozesse, beim Wiederaufbau, bei der Bildung etc. – sollten Jugendprojekte der Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung integriert und keine „siloed“ Jugendprojekte sein. Hierfür sollten die Agenden 2250 und 2419 (die die Relevanz der Resolution 2250 für die Sustaining Peace-Agenda hervorhebt) und die Empfehlungen der Progress Study in politische Strategien einfließen. Dabei müsse immer die Regel gelten: Erst die kontextabhängigen Bedürfnisse und bereits bestehenden Initiativen der jungen Menschen zu erfragen und anschließend gemeinsam mit Ihnen Unterstützungsoptionen zu entwickeln, so Cécile Mazzacurati, Leiterin des UNFPA/ PBSO Sekretariats.
Denn junge Menschen haben Potentiale, die für friedensfördernde Maßnahmen von entscheidender Bedeutung sein können. Sie können auf Track III bis hin zu Track I-Ebene unter anderem als Übermittler zu ihren peer-groups und durch ihre Netzwerke agieren; sie können mit innovativen Methoden handeln und damit Protokolle sowie Prozesse verändern oder durchbrechen. Darüber hinaus können junge Menschen einzigartige Dialogräume kreieren. Sie können je nach Dialoginhalt in bestimmten Situationen neutraler und flexibler sein und ihre gelebten Erfahrungen mit einbringen, so Julian Demmer, Polis180 und Berghof Foundation.
Friedenspotential junger Menschen für Europa
Julian Demmer war am Konsultationsprozess auf europäischer Ebene beteiligt. Die konsultierten jungen Europäerinnen und Europäer waren sich einig, dass ihr Beitrag zum Erhalt bzw. Aufbau des europäischen Friedens wichtiger sei denn je. Das Friedenspotential junger Menschen in Europa würde noch viel zu wenig gesehen und gefördert. Die Teilnehmenden der Konsultationsprozesse wurden zwar sorgsam ausgesucht. Nichts desto trotz, bleiben Herausforderungen von Inklusivität und Diversität bestehen: Welche jungen Menschen muss man zusammenbringen, um die Jugend Europas abzubilden? Und wie kann man auch sozial benachteiligte Jugendliche erreichen?
Internationales Momentum nutzen, um für Umsetzungsfinanzierung zur werben
Auf Nachfrage, was nächste Schritte zur Umsetzung der Empfehlungen sein könnten, verwies Cécile Mazzacurati auf das High Level Political Forum 2019 zu SDG 16 und den deutschen Sitz im VN-Sicherheitsrat 2019/20. So könne die Aufmerksamkeit auf die Agenda erhöht und für mehr Finanzierung geworben werden, denn bis jetzt gäbe es kaum Mittel, die Empfehlungen umzusetzen. Auch die UN Youth Envoy habe kaum Ressourcen zur Verfügung. Bei der Umsetzung komme es darauf an, Fragen des sozialen Zusammenhalts, Marginalisierung und Exklusion als zentrale Themen anzustoßen, um mit Mythen im Zusammenhang mit jungen Menschen aufzuräumen, die bis heute Politikentscheidungen bestimmten.
Umsetzung auf deutscher Ebene – Resolution 2250 ist in Leitlinien fest verankert
Die Resolution 2250 ist als ein Referenzrahmen in die Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ aufgenommen worden. Die Teilnehmenden stellten fest, dass das Thema Jugend, Frieden und Sicherheit in Deutschland auf institutioneller Ebene, z.B. in vielen Ministerien, bisher jedoch nicht verankert ist und sich kaum im politischen Diskurs und Handeln wiederspiegelt. Diejenigen Akteure, die in Deutschland und auf internationaler Ebene zu Aspekten der YPS-Agenda arbeiten, agieren allerdings noch zu sehr in Silos. Hier sollte man stärker in den Austausch treten und voneinander lernen, und auch das Interesse der EU an dem Thema Jugend und Frieden nutzen – gerade in Zeiten, in denen positiver Frieden in Europa nicht als selbstverständlich gelten kann.
Derzeitige Projektlogiken können Bedarfe junger Menschen kaum einbinden
Als Herausforderung wurde auch identifiziert, dass die derzeit zur Verfügung stehenden Instrumente und Prozesse der EZ nur unzureichend dafür geeignet sind, wirkliche Teilhabe junger Menschen zu ermöglichen. Sie sind häufig in Projektlogiken verhaftet und erfordern eine „NGOisierung“ junger Menschen, um z.B. finanzielle Unterstützung zu erhalten. Solche Vorgaben zur Formalisierung und Kompartmentalisierung sind jedoch problematisch und können negative Folgen haben. Auch werden Möglichkeiten, junge Menschen in (deutsche) Entscheidungsprozesse und –strukturen auf politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Ebene, aber auch in Organisationen der EZ oder Jugendförderung (z.B. als Mitglieder in Entscheidungsgremien) mit einzubeziehen, bisher unzureichend identifiziert und genutzt.
Lernen von der Umsetzung der Resolution 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit“
Kontrovers wurde auch diskutiert, inwiefern für die effektive Umsetzung der YPS-Agenda Strukturen und Prozesse ähnlich denen der Agenda 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit“ notwendig sind. Allerdings sind die Erfahrungen aus der Umsetzung der Resolution 1325 z.B. mit nationalen Aktionsplänen gemischt, und man sollte von diesen Erfahrungen lernen und sich nicht von der Abwesenheit von Strukturen lähmen lassen.
Eine vor allem für Deutschland und Europa spannende Frage, die zu weiterem Austausch zum Thema auffordert ist: Was bedeutet Jugendteilhabe in alternden Gesellschaften? Werden junge Menschen dann noch mehr ihre Stimme verlieren – und was bedeutet das für eine Demokratie?