Die Region der Großen Seen in Afrika ist seit langem Schauplatz von Gewalt und humanitären Krisen. Diese sind gekennzeichnet durch ethnische Spannungen, Ressourcenkonflikte und historische Missstände. Die Region umfasst Burundi, Ruanda, Uganda und die Demokratische Republik Kongo (DRK). Die Eroberung der Städte Goma und Bukavu durch die M23 (Bewegung des 23. März) stellte eine weitere Eskalation des Konflikts im Osten der DRK dar. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen fand am 16. April 2025 ein offener Dialog statt zum Thema „Politische und Konfliktdynamiken in der Region der Großen Seen in Afrika: Wo stehen wir jetzt?”. Organisiert wurde dieser von den FriEnt-Mitgliedsorganisationen Friedrich-Ebert-Stiftung und Misereor in Kooperation mit dem Ökumenischen Netz Zentralafrika e.V.
Maria Klatte (Leiterin der Afrika-Abteilung von Misereor) eröffnete den Dialog und begrüßte die hochkarätigen Gäste. Dr. Jair van der Lijn (Direktor, SIPRI Peace Operations and Conflict Management Programme), Dr. Nene Morisho (Direktor, POLE-Institut, Goma), Dr. Paul-Simon Handy (Regionaldirektor Ostafrika und Vertreter bei der AU, Institute for Security Studies) und Evariste Mfaume (Geschäftsführer von SVH – Solidarity of Volunteers for Humanity) sprachen über die Region und die aktuellen Eskalationen. Dr. Carla Schraml (Berghof Foundation) moderierte das Panel.
Die Debatte befasste sich mit Fragen zu Geschichte, Dynamik, Konfliktlinien und den verschiedenen Akteuren. Sie reflektierte die Rolle regionaler, internationaler und multilateraler Akteure. Dabei wurden aktuelle Dialogprozesse sowie deren Potenziale und Herausforderungen beleuchtet. Antworten wurden gesucht auf eine Komplexität, die immer nur kleine Schritte in Richtung Frieden zulässt. Hierbei machten die Diskussionsteilnehmer deutlich, dass es keine einfachen Antworten auf einen Konflikt gibt, der seit drei Jahrzehnten andauert. Verschiedene Akteure auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene sind mit ihren eigenen Zielen und Interessen in den Konflikt involviert. Am meisten leidet darunter die Zivilbevölkerung. Menschenrechtsverletzungen – darunter Massen- und gezielte Tötungen, Folter und sexuelle Gewalt – sind weit verbreitet. Das Gleiche gilt für Hunger, Vertreibung und finanzielle Ungewissheit. Die Redner betonten die allererste Notwendigkeit eines dauerhaften Waffenstillstands, um die Zivilbevölkerung zu entlasten.
M23 – Kontrolle ohne Kapazitäten
Die M23 erhebt mittlerweile Steuern in den von ihr kontrollierten Gebieten. Doch ihre Ressourcen sind äußerst begrenzt – für ein Gebiet von der Größe Belgiens fehlt es an Verwaltungskapazitäten, Infrastruktur und Legitimität. Die Unfähigkeit, urbane Zentren zu managen, macht deutlich: Die militärische Kontrolle ersetzt keine staatliche Ordnung. Die Folge ist ein Machtvakuum, vor allem in Goma und Bukavu. Dort leiden die Menschen unter Vertreibungen, Raubüberfällen bis hin zu Ermordungen und einem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung. Banken bleiben geschlossen, Gehälter aus Kinshasa kommen nicht an, und zugleich verlangt die M23 finanzielle Abgaben von Zivilgesellschaft und NGOs. Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung die Frustration: Viele Kongoles*innen in den Kivus werfen Präsident Félix Tshisekedi eine Mitverantwortung für die Eskalation vor.
Lokale Dynamiken: Wazalendo, Identitätspolitik und Kriegsökonomie
In beiden Kivu-Regionen operieren mittlerweile lose organisierte, vom kongolesischen Staat aufgebaute Selbstverteidigungsgruppen, sogenannte Wazalendo-Milizen. Ihre Ambitionen spiegeln eine gefährliche Mischung aus ethnischer Identität, lokaler Selbstverteidigung und organisierter Kriminalität wider. Im Nachbarland Burundi verfolgt die Regierung unter Präsident Ndayishimiye ebenfalls eigene Interessen und steht auf Seiten von Präsident Tshisekedi im identitätspolitisch aufgeladenen Konflikt mit Ruanda.
Ein zentrales Problem ist die etablierte Kriegsökonomie: Die Finanzierung bewaffneter Gruppen erfolgt nicht nur über Mineralien wie Coltan und Gold, sondern auch durch andere Ressourcen wie Kaffee oder Holz. Den Rednern zufolge wird geschätzt, dass z. B. die Miliz FDLR allein durch illegalen Holzeinschlag im Virunga-Nationalpark jährlich über 40 Millionen USD einnimmt.
Die humanitäre Lage bleibt katastrophal: Vergewaltigungen, Morde und Vertreibungen sind an der Tagesordnung. Allein Ende 2024 wurden über 23.000 Fälle sexualisierter Gewalt registriert – ein drastischer Anstieg gegenüber den Vorjahren.
Friedensprozesse – zu viele Stimmen, zu wenig Wirkung?
Während Friedensprozesse wie „Nairobi“ und „Luanda“ parallel laufen, fehlt es an Koordination und politischer Verbindlichkeit. Beide Prozesse basieren auf unterschiedlichen politischen Agenden und haben strukturelle Defizite: zu viele Akteure, zu wenig Einfluss auf lokale bewaffnete Gruppen. Aktuell setzt Katar auf stille Diplomatie und Mediation und bringt die Präsidenten der DRK und Ruandas vertraulich an einen Tisch – ein diplomatischer Hoffnungsschimmer (Anmerkungen der Verfasserinnen: Seit der Veranstaltung wurde seitens der USA ein Friedensabkommen zwischen Ruanda und der DRK verhandelt, welches am 27. Juni 2025 von den Parteien unterschrieben wurde. Dessen Implementierung und Umsetzungskraft bleibt abzuwarten. Es wird als überaus kritisch bewertet, dass die USA diesen Friedensvertrag mit einem Rohstoffabkommen gekoppelt haben.).
Wer sitzt mit am Verhandlungstisch?
Die Erfahrung zeigt: Für Waffenruhen braucht es einen kleinen, aber wirksamen Verhandlungskreis – mit der DRK, Ruanda, Uganda und Tansania. Für weitergehende Lösungen müssen auch Burundi, regionale Organisationen und die UN eingebunden werden. Dabei darf kein Akteur die Friedensverhandlungen als Mittel zur Postenvergabe missbrauchen – ein häufiges Problem, das die Friedensprozesse der Vergangenheit entwertet hat.
Die Rolle der AU und der EU
Betont wurde, die Afrikanische Union (AU) leide unter ihrem Subsidiaritätsprinzip – zuerst sind nationale und regionale Akteure zuständig, bevor die AU intervenieren kann. Zudem fehlen der AU die Kapazitäten für wirksame Friedensmissionen.
Dennoch gibt es Ansatzpunkte: Die EU kann durch gezielte Unterstützung eine wichtige Rolle spielen – etwa durch die Einrichtung eines AU-Hochkommissariats in Bujumbura und bessere Anbindung an UN-Vermittlungsinitiativen. Der neue EU-Sonderbeauftragte für die Region bringt frischen Wind in den Dialog. Die EU, so der Tenor, sollte zugleich ihre Handelsbeziehungen überprüfen: Kritische Rohstoffe aus Konfliktregionen tragen indirekt zur Finanzierung der Gewalt bei.
Fazit: Frieden nur durch einen echten Wandel
Neben Ressourceninteressen geht es um tieferliegende Fragen von Identität, Macht und regionaler Einflussnahme. Solange Staaten der Region von ehemaligen Rebellenführern regiert werden und von der Gewalt auf allen Seiten profitiert wird, bleiben echte Fortschritte schwer vorstellbar. Langfristig kann es nur eine Lösung geben: die DRK als funktionierenden Staat zu stabilisieren – ohne territoriale Aufteilung, sondern mit tragfähigen staatlichen Strukturen.
Die Region der Großen Seen braucht mehr als Waffenstillstände: Sie braucht politische Ehrlichkeit, institutionellen Aufbau – und vor allem internationale Unterstützung, die konsequent die Zivilbevölkerung schützt.
