Die Proteste im Sudan haben zu einem Ende des Regimes geführt. Eine Übergangsregierung hat nun die schwierige Aufgabe, angekündigte Veränderungen zu verwirklichen und die wirtschaftliche Situation des Landes zu verbessern. Doch weiterhin sitzen auch Verantwortliche schwerster Menschenrechtsverletzungen in der Übergangsregierung – gerade um ihren Einfluss zu schwächen muss Deutschland eine sinnvolle und verantwortungsvolle EZ aufnehmen.
Impuls 10/2019 von Marina Peter, Brot für die Welt
Nach sehr langer Zeit gibt es endlich wieder positive Entwicklungen aus dem Sudan zu berichten. Die Revolutionäre und vor allem auch Revolutionärinnen, die seit Dezember 2018 für die Absetzung des Präsidenten und für eine demokratische Veränderung der Verhältnisse demonstriert hatten, schafften es, durchgängig friedlich zu bleiben, bis ein Großteil ihrer Forderungen erfüllt wurde. Und das trotz wiederholter massiver Gewaltanwendung seitens der Herrschenden, sowohl vor dem Sturz des seit 1989 regierenden Präsidenten Omar al Baschir als auch seitens des Militärrates, der sich im April an die Macht putschte. Die Protestierenden hielten fest zusammen und ließen sich nicht einschüchtern, bis schließlich das Militär im Juli nachgab und einer drei-jährigen Übergangsregierung (Souveräner Rat) aus Militär und Zivilisten zustimmen musste, an die sich freie Wahlen anschließen sollen.
Damit sind sie zum leuchtenden Beispiel und großen Hoffnungsträger für alle geworden, die sich auf dem Kontinent, aber auch weltweit, für eine Verbesserung der Menschenrechtslage und gegen staatliche Willkür einsetzen. Auch die sudanesische Protestbewegung unter Leitung der „Professionals Association“ wären durchaus in diesem Jahr eines Friedensnobelpreises würdig gewesen.
Dem 11-köpfigen Souveränen Rat gehören zwei Frauen an – eine der beiden eine Christin, womit der Rat bemerkenswerterweise die Multireligiosität anerkennt. Im neuen Kabinett finden sich immerhin vier Frauen, die Leitung des Außenministeriums sowie das oberste Richteramt wurden erstmalig weiblich besetzt. Das alles freut die Frauen, es entspricht aber noch längst weder der immensen Leistung, die sie zu den bisherigen Veränderungen beitrugen, noch der wichtigen Rolle, die sie auch in Zukunft bei Versöhnung und Friedensarbeit leisten müssen und werden, sowie gerade auch zur Verstetigung demokratischer Veränderungen.
Die Übergangsregierung muss noch viele Hürden überwinden
Die Gefahr ist groß, dass alte sudanesische Seilschaften mit Gewalt versuchen werden, bereits Vereinbartes zu boykottieren. Denn die bisher regierenden Akteure aus Partei, Militär und Sicherheitsapparat, aber auch alte Oppositionsparteien und bewaffnete Bewegungen werden evtl. nicht hinnehmen wollen, dass ein Generationswechsel endgültig zum Verlust ihrer Machtansprüche führt. Hinzu kommt, dass im neuen „Scramble for Africa“ auch die Golfstaaten sowie die arabische Welt neben Russland, der Türkei, China, den US-Amerikanern, Europäern und vielen anderen massiv im Sudan versuchen, Einflusssphären zu sichern oder zu erlangen und eine nachhaltig negative Rolle spielen könnten, von Interessen der Nachbarländer wie Libyen, Tschad, Eritrea oder Ägypten einmal ganz abgesehen. Dabei spielen u.a. Interessen an der weiteren Ausbeutung von Bodenschätzen (Gold, Öl, seltene Erden) und militär-strategische Erwägungen/Bündnisse am Horn eine Rolle, aber auch der Versuch, Sudan weiter als rein muslimisch – arabisches und keinesfalls afrikanisches Land zu definieren. Auf Seiten der Europäer kommt das starke Bedürfnis nach Migrationskontrolle/Sicherung der europäischen Außengrenzen hinzu.
Während der Revolution haben die Protestierenden sehr deutlich gemacht, dass sie sich nicht länger spalten lassen wollen in arabische oder afrikanische Identitäten, in Muslime oder Christen. Nun gilt es, sie massiv darin zu unterstützen, dies zugunsten einer multi-ethnischen, multi-religiösen sudanesischen Identität auf dem afrikanischen Kontinent trotz all der divergierenden Interessen von außen auch durchzuhalten. Wie zuvor in Äthiopien sollten schnellstens Gesetze geändert und neue verabschiedet werden, um angekündigte Änderungen zu verstetigen. Der neue Premierminister Hamdok, ein aus dem Exil zurück gekehrter Ökonom, steht vor schweren Aufgaben, denn letztendlich wird es erfolgsentscheidend sein, wer es schafft, die katastrophale wirtschaftliche Lage zu verbessern.
Die „friends of Sudan“, eine Gruppe von Regierungen und internationalen Organisationen, der u.a. auch Deutschland angehört, müssen gemeinsam alles versuchen, zu einer friedlichen Zukunft beizutragen, ohne den souveränen Staat zu bevormunden. Deutschland sorgte mit dafür, dass Premierminister Hamdok vor dem VN-Sicherheitsrat sprechen konnte. Schon vor dem französischen bereiste der deutsche Außenminister den Sudan und sicherte weitreichende Unterstützung zu. Das Außenministerium drängt entsprechend u.a. auf schnelle Wiederaufnahme der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, welche mit Beschluss des deutschen Parlaments seit 1989 ausgesetzt ist.
Wiederaufnahme staatlicher Entwicklungszusammenarbeit – ein Dilemma
Deutsche NRO, die in all den Jahren mit zivilen Partnern Kontakt gehalten und sie trotz aller Einschränkungen durch die sudanesische Regierung wo immer möglich unterstützt haben, stehen bei der Frage der Wiederaufnahme der staatlichen EZ zum jetzigen Zeitpunkt vor einem geradezu klassischen Dilemma:
Zu ungewiss ist die Zukunft nach wie vor: Menschenrechtsverletzungen werden im Sudan bisher nicht umfänglich geahndet. Menschen, die schwerster Menschenrechtsverletzungen verdächtigt werden, sitzen auf Seiten der Militärs in der Übergangsregierung. Hervorzuheben ist hier Mohamed Hamdan Daglo, genannt Hemeti, ehemaliger Führer der arabischstämmigen Reitermilizen in Darfur (Janjaweed). Dieser „Ziehsohn“ des ehemaligen Präsidenten ist zu einer der einflussreichsten Figuren im Sudan geworden und hält praktisch den Schlüssel dafür in Händen, in welche Richtung sich das Land entwickeln kann. Mit seinen Rapid Support Forces (RSF) verfügt er über die größte, sehr gefürchtete militärische Stärke im Land. Er scheint über verschiedene Söldner-Einsätze mit seinen Truppen u.a. in der Zentralafrikanischen Republik, in Libyen und im Jemen vertreten und aufgrund bester Beziehungen zu Saudi-Arabien und den Emiraten, aber auch durch die Ausbeutung der Goldvorkommen in Darfur über fast unbegrenzte Geldmittel zu verfügen. Außerdem wird ihm Beteiligung am Menschenschmuggel nachgesagt, zu dessen Bekämpfung er laut damaliger Regierung offiziell mit seinen RSF beauftragt war. Unter anderem aufgrund von Personen wie ihm kritisieren deutsche, internationale, vor allem aber afrikanische NRO die Zusammenarbeit mit Ländern wie dem Sudan oder auch Eritrea im sog. „Khartoum-Prozess“ zur Migrationskontrolle seit Jahren sehr heftig.
Insbesondere sein immenser Reichtum, den Hemeti derzeit sehr strategisch zur Sicherung seiner ohnehin großen Macht als Drahtzieher in der militärischen Gruppe im Souveränen Rat einsetzt, ist ein fast schon tragischer Grund dafür, dass die Übergangsregierung schnellstens massiv finanziell unterstützt werden muss. Dilemma und Tragik dabei ist, dass dieser Mann sich nach allen bisherigen Erkenntnissen zahlreicher schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat, nun selbst der Regierung angehört, und ein (erneuter) Missbrauch von Geldern seinerseits nicht völlig ausgeschlossen werden kann.
Das Land ist wirtschaftlich so angeschlagen, dass ohne eine massive Unterstützung von außen eine friedliche, demokratische Entwicklung wahrscheinlich keinerlei Chance haben dürfte, und die zivilen Kräfte in der Regierung schnellstens Erfolge vorweisen können müssen, um zu verhindern, dass militärische und anti-demokratische Kräfte wieder die Oberhand gewinnen.
Wenn es nicht anders geht, muss Deutschland eine konditionierte staatliche Entwicklungszusammenarbeit aufnehmen. Besonders ist aber dabei darauf zu achten, Maßnahmen nicht nur auf die Hauptstadt zu konzentrieren, sondern maßgeblich in der Fläche zu wirken und den „Wiederaufbau von unten“ zu ermöglichen – in Darfur, in den Nuba Bergen, in Blue Nile, im Osten des Landes. Sudan ist grade auch in diesen Gebieten von den Folgen des Klimawandels bereits jetzt ökologisch massiv betroffen.
Wie kann eine deutsche, europäische und internationale Unterstützung des Sudans aussehen?
Der Souveräne Rat hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Ende des Jahres Frieden mit den seit langen kämpfenden Rebellengruppen zu schließen und sie damit in die Übergangsphase einzubeziehen. Im Friedensfall können Militär- und Sicherheitsausgaben, die bisher 70-80% im Staatsbudget ausmachten, heruntergefahren werden, der wichtige Legislative Council als dritte Säule neben Übergangsrat und Kabinett kann besetzt und neue Gouverneure können ernannt werden – bei beiden erhoffen sich Rebellenführer Positionen. Deutschland und die EU sollten diesen Friedensprozess, der Anfang Oktober in Juba begonnen hat, weiter unterstützen, da diese Gruppen ansonsten positive Veränderungsprozesse erheblich beinträchtigen können.
Alle lokalen Maßnahmen von Transitional Justice müssen umgehend angegangen und international unterstützt werden, um die jahrzehntelang begangenen, aber auch die jüngsten Menschenrechtsverletzungen schnellstmöglich vor Gericht zu bringen.
Ein umfassender Schuldenerlass muss ebenso erfolgen wie die Aufhebung der Sanktionen, sprich die Streichung des Sudan von der US-Liste der den Terrorismus unterstützenden Länder, um wirtschaftliche Reformen zu ermöglichen und die verheerende Inflationsrate (Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) für 2020 62%) zu stoppen.
Der IWF sollte keinesfalls seine üblichen Maßnahmen, wie Streichung von staatlichen Subventionen und Privatisierung, vollstrecken. Ersteres trifft die ohnehin Armen und hat z.B. bei der Streichung der Subventionen auf Brotpreise im Dezember im Sudan maßgeblich mit zum Ausbruch der Proteste beigetragen. Letzteres hat mit dazu geführt, dass heute die wichtigsten Wirtschaftszweige in den Händen von Mitgliedern der bis April regierenden NCP (der Partei Baschirs) und von hochrangigen Militärs liegen, die immense Gelder ins Ausland gebracht haben. Das wird es der neuen Regierung sehr schwer machen, die Wirtschaft wiederaufzubauen.
Auf jeden Fall sollten auch Deutschland und die EU dazu beitragen, Auslandskonten einzufrieren und die Rückführung von unrechtmäßig angeeignetem Kapital zu ermöglichen. Transparenz bei und Kontrolle von Geldtransfers und öffentlichen Ausgaben sind unerlässlich, wie von der Zivilbevölkerung gefordert.
Die EU und Deutschland verfügen über Erfahrung in Prozessen der Sicherheitssektorreform und sollten diese zur Verfügung stellen – allerdings ausdrücklich nicht mit der Brille des größtmöglichen Nutzens für die Migrationskontrolle.
Demokratisch gesinnte sudanesische NROs und die entsprechenden Vertreter*innen der Zivilbevölkerung, insbesondere auch Frauen, sollten umfassend in ihrer Arbeit unterstützt werden. Es ist dabei unerlässlich, ihren Stimme auch weiterhin nicht nur Gehör zu verschaffen, sondern ihnen tatsächlich zuzuhören. Das bedeutet aber auch anzuerkennen, dass sie diejenigen sind, die ihre Vorstellung von Zukunft diskutieren und umsetzen werden – niemand von außen. Sie haben gezeigt, dass sie dazu ganz allein in der Lage sind, und sie sind bereit, auf diesem Weg auch weiter zu gehen, so viel ist sicher.
Das neue „scramble for Africa“ und die gegenwärtige Krise des Multilateralismus scheinen zwar nicht viel Raum für Hoffnung zu bieten, dass Außenstehende wirklich daran interessiert sind, langfristig im Interesse der Menschen zusammenzuarbeiten. Aber grade das Beispiel der sudanesischen Revolution hat gezeigt, dass Afrikaner und Afrikanerinnen sehr wohl in der Lage sind, selbst und ziemlich allein friedlich für das zu kämpfen, was viele anderswo längst nicht mehr zu verteidigen scheinen: Demokratie und Menschenrechte- allen Widrigkeiten zum Trotz!
Wo immer von ihnen gewünscht: Tragen wir dazu bei, dass die zivilen Kräfte in der Übergangsregierung wenigstens eine Chance haben, erfolgreich zum Wohle aller wirken zu können.