Welche aktuellen friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen stellen sich in Armenien? Welche Chancen und Eckpunkte für Frieden und Entwicklung zeichnen sich ab? Diese Fragen diskutierte der Coronoa-bedingt virtuelle FriEnt-Rundtisch Südkaukasus in einem Hintergrundgespräch mit MdB Dirk Wiese, Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Staaten der Östlichen Partnerschaft.
Seit der „samtenen Revolution“ und dem Regierungswechsel in Armenien Ende 2018 sind einige politische und wirtschaftliche Reformen auf den Weg gebracht worden. Die Tätigkeiten des ‚Koordinators der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft‘ richtet sich auf insgesamt zwölf Staaten, darunter auch Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldau, Ukraine und Weißrussland als Teilprojekt der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP). Aus dem Südkaukasus ist das Interesse an deutschen Positionen hoch und es gibt vielfache Anfragen nach Kooperation und Zusammenarbeit. Dies begründete die bereits zweite Reise von Dirk Wiese in die Region, die im Vorfeld von einschränkenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie noch hatte stattfinden können. Die armenische Regierung hatte noch im Februar eine Kampagne für ein Referendum zu einer umstrittenen Verfassungsänderung abgehalten. Eine Vielzahl der Gespräche war auch dem Karabach-Konflikt gewidmet und den bevorstehenden Wahlen, die in Bergkarabach trotz internationaler Kritik und Nichtanerkennung am 31. März abgehalten wurden. Auf politischer Ebene erscheinen Positionen auf beiden Seiten weiterhin verhärtet und eine schnelle Friedenslösung ist noch nicht in Sicht. Allerdings scheinen sich die ‚kleinen Schritte‘ der vertrauensbildenden Maßnahmen zu bewähren und sollten fortgeführt werden. So trage beispielsweise ein offener Journalist*innen-Austausch bereits Früchte auf beiden Seiten. Besorgnis erregten allerdings die Grenzvorfälle zwischen Armenien und Aserbaidschan, die im Vergleich zum Jahr 2019 wieder häufiger vorkommen.
Erwartungsmanagement erforderlich
Die Teilnehmenden des Rundtisches sowie einige Gesprächspartner*innen in Armenien betonten erneut, dass es wichtig sei, die zivilgesellschaftlichen Akteure in die zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung einzubeziehen. Diese hatten in der vergangenen Zeit ihre Handlungsspielräume in Armenien vergrößern können. Andererseits seien sie teilweise auch ernüchtert und enttäuscht, zum Beispiel bei Umweltfragen: Die Regierung müsse hier sehr hohe und widersprüchliche Erwartungen managen. So seien etwa Umweltaktivist*Innen unglücklich über die Haltung der Regierung im Streitfall um die Amulsar-Goldmine in Jermuk. Die Verantwortlichen der Mine lehnen eine Schließung ab und weisen auf die Notwendigkeit wirtschaftlicher Entwicklung hin. In der Diskussion wurde angemerkt, es müsse hier noch gelingen, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern, trotzdem Umweltstandards einzuhalten und Vertrauen zwischen Staat und Zivilgesellschaft aufzubauen.
Die Arbeit mit und für Jugendliche aus der Region ist ein wichtiger Bereich in der Östlichen Partnerschaft und soll weiter ausgebaut werden. Eine besondere Einrichtung mit viel Innovations-Knowhow und Bildungschancen für Jugendliche ist das TUMO-Center for Creative Technologies in Yerevan und mehreren Centren inner- und auch außerhalb Armeniens, u.a. Paris und Beirut. Die Arbeit mit Jugendlichen und Förderung ihres Engagements ist auch Schwerpunkt der Friedensarbeit von einer Reihe zivilgesellschaftlicher Partnerorganisationen der FriEnt-Mitgliedsorganisationen und hierzu könnte ein vertiefter Austausch nützlich sein. Unklar war den Teilnehmenden dagegen, wie sich der Strategieprozess BMZ 2030 auf die Zusammenarbeit in der Region und die entwicklungspolitische Friedensarbeit auswirken wird. Auch über den zukünftigen Stellenwert, die Finanzierung und Schwerpunkte des BMZ im Rahmen der Östlichen Partnerschaft für Armenien blieben Fragen offen.
Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen für die Region durch die Corona-Pandemie wurde deutlich, dass Armenien und Georgien durch den Lockdown besonders betroffen sind, da Tourismus und Transit hier von zentraler wirtschaftlicher Bedeutung sind und sie kaum wirtschaftliche Ausgleichsmöglichkeiten haben, wie Felix Hett aus dem FES Regionalbüro Südkaukasus berichtete.
MdB Dirk Wiese betonte abschließend, dass er einem weitergehenden Austausch mit Mitgliedern des FriEnt-Rundtisch Südkaukasus offen gegenüberstehe und die FriEnt-Mitglieder sich gerne mit Fragen und Anregungen an ihn wenden könnten.